Teranesia
prägnanter Geruch, der Erinnerungen heraufbeschwor. Sein Vater, der ihn auf einen Stuhl hob, damit er in ein Mikroskop blicken konnte, damals in Kalkutta. Das Bild der Schuppen auf den Flügeln des Schmetterlings, die wie winzige smaragdgrüne Prismen schillerten. Prabirs Bauch verkrampfte sich, bis er Säure schmeckte, aber das stärkte seine Entschlossenheit nur. Je mehr Unbehagen es ihm verursachte, desto notwendiger erschien es ihm.
Er rief sich ins Gedächtnis, wie diese Szene bei Tageslicht durch das Fenster betrachtet aussah. Er hatte seinen Vater häufig über das Mikroskop gebeugt beobachtet, also wusste er, wo er jetzt war und wohin er sich wenden musste. Der Ärger war vorprogrammiert, wenn er in der Dunkelheit einen Käfig mit erwachsenen Tieren öffnete; es war ein hoffnungsloses Unterfangen, nur mithilfe seines Tastsinns nach ihnen zu suchen, ohne sie zu wecken, und selbst wenn keins der Tiere entkam, waren ihre Flügel extrem empfindlich. Die Larven waren mit scharfen Borsten ausgestattet und verspritzten einen übelriechenden, braunen Reizstoff. Wahrscheinlich hätte er seinen Widerwillen vor der Berührung überwinden können – schließlich waren es nur Raupen, also war es etwas ganz anderes, als seine Hand in einen Käfig voller Skorpione zu stecken –, aber er hatte die Flecken gesehen, die der Reizstoff auf der Haut seines Vaters hinterlassen hatte. Man würde es ihm kaum glauben, wenn er eine ähnlich intensive Verunreinigung als Ergebnis einer zufälligen Begegnung erklären wollte.
Als er der Werkbank ein paar Meter weiter gefolgt war, fand er schließlich den richtigen Käfig, wie er hoffte. Er schnippte ein paarmal gegen das feinmaschige Gitter und horchte. Kein hektisches Geflatter, kein erzürntes Zischen. Er legte das Gesicht ans Gitter und atmete ein. Neben dem metallischen Geruch witterte er Pflanzensäfte. Prabir hatte gesehen, wie die Puppen an dünnen Fäden von den Ästen im Käfig hingen, plumpe gelb-schwarz-grüne Gebilde, jedes von einem groben Seidennetz getragen – das sein Vater als ›Gürtel‹ bezeichnete –, wie winzige unförmige und verschimmelte Melonen in individuellen Einkaufsnetzen. Die Larven spannen keinen ordentlichen Kokon, um darin ihre Metamorphose zu vollziehen; sie taten es nackt, was kein angenehmer Anblick war. Ganz gleich, wie hässlich das Durcheinander der sich verformenden Körperteile war, in diesem Zustand war es immer noch wesentlich angenehmer, sie zu berühren, als vor dem Einsetzen des Prozesses.
Prabir öffnete den Käfig und griff hinein.
Schnell zog er die Hand zurück. Idiot! Er konnte sich nicht auf vage Erinnerungen verlassen, wie der Käfig irgendwann einmal ausgesehen hatte. Er musste sich vom Boden langsam nach oben tasten, um keine Fäden zu zerreißen. Und er musste Schweiß an den Fingern haben, damit die erste Berührung genügte.
Auf und unter den Armen war er von der nächtlichen Luftfeuchtigkeit klitschnass. Er befeuchtete seine rechte Hand und legte sie mit der Innenfläche nach oben auf den Boden des Käfigs. Dann hob er langsam den Arm. Der leere Raum schien kein Ende nehmen zu wollen; er spürte bereits, wie seine Handfläche trocknete, während seine übrige Haut umso heftiger vor Nervosität schwitzte. Er versuchte sich zu erinnern, was sein Vater ihm über den Vermehrungszyklus erzählt hatte. Vielleicht befanden sich gar keine Puppen im Käfig.
Als er den Arm auf Schulterhöhe ausgestreckt hatte, berührte sein Handgelenk endlich etwas.
Es war kühl und elastisch. Ein Ast.
Er zog den Arm zurück. Er zitterte.
Einmal noch, entschied er. Nach dem zweiten Fehlversuch wollte er gehen.
Als er neben dem Käfig stand und sich zu erinnern versuchte, wohin er seine Hand beim ersten Mal gelegt hatte, bemerkte Prabir ein schwaches, ungewohntes Summen, das von irgendwo außerhalb der Hütte kam. Er war irritiert, denn er kannte die Geräusche aller Maschinen im Kampung, ob sie nun im Normalbetrieb, im Leerlauf oder unter extremer Belastung arbeiteten. Was er noch nicht kannte, konnte sich nur hier drinnen befinden: irgendein automatisches Laborgerät oder eine Kühlpumpe, etwas, das zu leise war, um es von draußen hören zu können. Aber dieses Geräusch hatte seinen Ursprung nicht in der Hütte, dessen war er sich sicher.
Es war ein Jet. Der tiefer als gewöhnlich flog. Oder auch nicht, denn möglicherweise wurde die Akustik durch die nächtliche Luft verändert. Das Summen war so schwach, dass er niemals davon
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