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Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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könnte.
    Seine Mutter schüttelte ungeduldig den Kopf. »Du kannst ihn nicht anheben, Schatz. Das weißt du doch. Hilf mir einfach nur, die Leiter in Stellung zu bringen.«
    Sie stellte eine der Kisten am Rand des Gartens ab, so nahe wie möglich an seinem Vater. Dann ging sie ein paar Meter weiter und winkte Prabir, sich der Kiste zu nähern. Als er daneben stand, schwang er die Leiter in ihre Richtung. Sie griff nach einem Ende und hielt es fest, während sie immer noch die zweite Kiste in der anderen Hand trug.
    Als seine Mutter um den Garten herumging, gab Prabir immer mehr nach, bis er das andere Ende der Leiter erreicht hatte. Sie lächelte ihm aufmunternd zu, aber er spürte, wie sein Herz aus Angst um sie klopfte. Nicht den Garten zu betreten war keine Sicherheitsgarantie. Das rechteckige Stück gerodeten Bodens musste aus der Luft ein ideales Ziel abgegeben haben – und vielleicht war es für eine automatische Mine einfacher, in den Boden einzudringen und ihre Spuren zu verwischen, wenn keine Vegetation vorhanden war –, aber es mochte durchaus noch weitere Minen geben, die an jeder beliebigen Stelle liegen konnten.
    Als seine Mutter sich der am weitesten von ihm entfernten Ecke näherte, mussten sich beide strecken, um die Leiter zu halten, und bald wurde klar, dass selbst das nicht genügen würde. Sie schien zu überlegen, eine Abkürzung durch den Garten zu nehmen, doch Prabir rief ihr zu: »Nein! Ich kann dir etwas näher kommen!« Er deutete auf die Ecke, die ihm am nächsten war, wo sie bereits bewiesen hatte, dass keine Gefahr im Boden lauerte. »Ich stelle mich dorthin. Wenn du um die Ecke gegangen bist, laufe ich parallel zu dir zur Kiste zurück.«
    Seine Mutter schüttelte verärgert den Kopf, aber sie war wütend auf sich selbst, weil sie nicht mehr klar denken konnte. »Du hast Recht. So machen wir es.«
    Als die Leiter über der ganzen Breite des Gartens hing und sie sich damit auf seinen Vater zubewegten, schöpfte Prabir neue Hoffnung. Nur noch wenige Schritte, dann musste seine Mutter sich nicht mehr über unsicheren Boden bewegen. Er achtete darauf, nicht auf die Beine seines Vaters zu schauen, aber eine Stimme in seinem Hinterkopf riet gelassen zu vorsichtigem Optimismus. Es gab Menschen, die diese Art von Verletzung überlebt hatten, in abgelegenen Dörfern in Kambodscha und Afghanistan. Seine Mutter hatte Humananatomie studiert und an Versuchstieren Operationen durchgeführt; damit standen die Aussichten gar nicht so schlecht.
    Prabir wartete, bis sie die zweite Kiste auf den Boden gestellt hatte, dann brachten sie gleichzeitig die Leiter in Position. Er zweifelte nicht daran, dass die Kisten das Gewicht aushielten. Im Kampung gab es davon ein Dutzend, und er hatte oft beobachtet, wie sein Vater auf eine gestiegen war. Wenn die Leiter nicht durchknickte, standen sie nur noch vor dem Problem, dass ein Ende der Leiter von der Kiste rutschen könnte.
    Seine Mutter folgte seiner Blickrichtung.
    »Du passt auf und sagst mir, wenn sie sich bewegt«, rief sie ihm zu. »Wenn ich sie unabsichtlich in eine Richtung verschiebe, kann ich sie jederzeit zurückschieben.«
    Sie zog die Schuhe aus und stieg auf die Kiste.
    Die Stufen der Leiter waren leicht geneigt, damit sie waagerecht standen, wenn die Leiter nicht ganz senkrecht aufgestellt wurde. Die Kanten, die nun nach oben zeigten, bestanden aus abgerundeten Metall, während der rutschfeste Gummibelag auf den Trittflächen in dieser Lage keinen Halt bot. Doch dann beobachtete Prabir, wie seine Mutter eine Methode fand, ihre Füße so zu platzieren, dass sie gleichzeitig von den Holmen und den Kanten der Sprossen gestützt wurden. Während sie immer noch über der Kiste stand, kniff sie trotzdem fest die Augen zusammen und schwankte ein wenig, die Arme leicht erhoben, als sie die Bewegungen einübte, mit denen sie ihr Gleichgewicht wahren konnte, ohne den Halt zu verlieren, damit sie unterwegs nicht zu viel improvisieren musste. Prabirs Kehle schnürte sich zusammen; seine Angst um sie wechselte sich mit Liebe und Bewunderung ab. Wenn irgendjemand auf der Welt es schaffen konnte, dann sie!
    Sie öffnete die Augen und machte die ersten Schritte über die Leiter.
    Prabir hielt sein Ende fest und drückte es mit seinem Körpergewicht auf die Kiste, während sein Blick starr auf die gegenüberliegende, unbewachte Kiste gerichtet war. Er spürte mit jedem Schritt, den seine Mutter machte, leichte Vibrationen, aber es gab keine Anzeichen, dass die

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