Teranesia
wie vor hielt er es für wahrscheinlicher, dass diese Tiere erst vor kurzem von Teranesia ausgewandert waren, aber wenn sie ein mutagenes Virus mitgebracht hatten, das auf andere Spezies überspringen konnte, waren möglicherweise Zehntausende von Menschen in großer Gefahr. Das Virus mochte achtzehn Jahre gebraucht haben, um den biochemischen Abgrund zwischen Schmetterlingen und Vögeln zu überwinden, aber Vögel waren als Zwischenwirte menschlicher Krankheiten berüchtigt. Er wünschte sich, er hätte Grant einige klare Antworten entlocken können. Natürlich war sie nicht daran interessiert, zum Urheber unbegründeter Gerüchte zu werden, aber eigentlich war sie es ihm schuldig, eine sachkundige Meinung zu äußern, womit sie es hier vermutlich zu tun hatten.
*
Gegen Abend kehrten sie verdreckt und erschöpft und mit dem Blut vierer Tauben zum Schiff zurück. Prabir sah zu, wie Grant die Proben für eine Analyse vorbereitete. Durch das Konservierungsmittel, das in der Hitze ihren Zerfall verhindert hatte, waren sie zu Klumpen aus rotbraunem Gelee geronnen.
»Wissen Sie über die Spezies Bescheid«, fragte er, »die früher hier lebten? Ich meine nicht vor der holländischen Kolonialzeit, sondern vor zehn oder zwanzig Jahren.«
»In einem Artikel von 2018 werden ein halbes Dutzend sympatrischer Spezies der Genera Treron, Ptilinopus und Ducula erwähnt.«
»Ducula? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Nein, das sind die großen. Die Muskatnusstauben.«
»Und was bedeutet ›sympatrisch‹?«
»Entschuldigung. Koexistierende Arten, die im selben Gebiet leben.«
Prabir nickte, über seine geistige Trägheit beschämt. Das Kind, das einst Teranesia benannt hatte, hätte nicht nachfragen müssen. Er hatte nie die klassischen europäischen Sprachen studiert, aber in alltäglichen Fremdwörtern steckten alle Hinweise, die nötig waren – man konnte die Bedeutung mühelos aus den Begriffen ›Symmetrie‹ und ›Patriot‹ ableiten.
»Treron ist grün«, sagte Grant, »aber die anderen sind gewöhnlich bunt gefärbt, vermutlich zum Zweck der Partnerfindung. Nach der gängigen Theorie war genau das der Grund, warum sich unterschiedliche Arten entwickelten – durch unkontrollierte sexuelle Selektion, nachdem ein Gefieder in Tarnfarben wegen des Fehlens natürlicher Feinde überflüssig geworden war.«
»Was ist also mit den anderen Arten geschehen?«
Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht wurden sie durch den Vogelhandel ausgerottet. Die hübschesten Exemplare erzielen die höchsten Preise und lassen sich obendrein am leichtesten fangen.«
Prabir war nicht überzeugt. Fruchttauben waren nicht gerade mit Paradiesvögeln zu vergleichen. Doch nach dem Krieg mussten harte Zeiten geherrscht haben, und vielleicht hatten sie auf dem Markt tatsächlich genügend eingebracht, um den Aufwand der Jagd zu rechtfertigen.
Grant öffnete eine Klappe im Regal mit den Analyseinstrumenten und steckte ein Röhrchen mit einer Blutprobe in eine Fassung. »Jetzt heißt es abwarten.«
Prabir ging im verlassenen Hafenbecken schwimmen und blieb im Wasser, bis es so dunkel geworden war, dass er sich zu fragen begann, welche Geschöpfe in seiner unmittelbaren Nähe darin lauern mochten. Er hatte vergessen, ein Handtuch mit nach draußen zu nehmen, also setzte er sich eine Weile auf das Deck, damit er nicht die ganze Kabine volltropfte. Als er zurückkehrte, blickte Grant beiläufig von ihrer Arbeit auf. Er ging zu seiner Koje und zog sich ein T-Shirt über.
»Irgendetwas Neues?«, rief er ihr zu.
»Ich habe jetzt alle Sequenzen.«
»Und?« Er kam zu ihr. »Ist es dieselbe Spezies wie die, die auf Ambon gefunden wurde?«
Grant zögerte mit einer Antwort. »Eine unserer Sequenzen ist fast völlig identisch mit den Daten von Ambon. Und alle vier haben dieselben neuartigen Blutproteine wie die Ambon-Taube.«
Prabir strahlte. »Also hatten Sie Recht: Sie haben den Vogel in seinem natürlichen Lebensraum gefunden. Meinen Glückwunsch!« Doch Grant wirkte nicht sehr begeistert. »Und was noch?«, fragte er.
Sie blickte auf ihr Notepad. Prabir erkannte darauf Ketten aus Basenpaaren und ein Kladogramm. »Außerdem haben sie einige genetische Marker mit den ungetarnten Spezies gemeinsam, von denen wir annahmen, dass sie nicht mehr existieren.«
Prabir bemühte sich, die Bedeutung dieser Feststellung zu verstehen. »Sie meinen also, sie wurden gar nicht ausgerottet, sondern haben sich miteinander gekreuzt?«
»Nein, dafür gibt es
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