Teranesia
Nebenstraße ein. Die Kinder blieben zurück. »Würden Sie mir verraten, wohin wir gehen?«, fragte Prabir.
»Hinauf zu den Muskatnuss-Plantagen.«
»Sie dürften sich kaum noch als Plantagen bezeichnen lassen. Man hat sie schon vor Jahrzehnten aufgegeben.«
»Plantagen, Wälder – es ist mir gleich, wie Sie es bezeichnen wollen. Wir sind nicht hier, um über Flächennutzungspläne zu verhandeln.«
Prabir konnte sich nicht vorstellen, was sie hier zu finden hoffte. Nach jahrhundertelanger Kultivierung war auf den Inseln kaum noch unberührte Natur übrig geblieben. Er hatte vermutet, dass sie hier nur deswegen vor Anker gegangen waren, um die Einheimischen über Reisende auszufragen, die nach Süden unterwegs waren, oder um auf dem Markt nach Kuriositäten zu suchen, die nicht nach Ambon verschifft worden waren.
Als sie die Stadt hinter sich ließen, wurde der Schotterweg immer mehr von Vegetation überwuchert. Während sie durch die Hitze stapften, begegneten sie niemandem. Grant hatte von der Regierung in Ambon die Genehmigung erhalten, zu Forschungszwecken Tier- und Pflanzenexemplare in der gesamten RMS zu sammeln, aber Prabir fand, dass sie trotzdem auch die Bandanesen um Erlaubnis hätten fragen sollen, bevor sie sich ins Gelände begaben. Nach dem adat, dem Gewohnheitsrecht, wurden alle Besucher der Insel als Gäste des raja betrachtet – eine Ehre, die mit der Verpflichtung verbunden war, ihn über all ihre Bewegungen in Kenntnis zu setzen –, doch anstelle einer Audienz mit Ihrer Hoch-oder-was-auch- immer-würden hätten sie zumindest den Bewohnern der nächsten Dörfer versprechen können, keine Grabstätten zu stören. Das Problem war nur: Wenn sie in die Stadt zurückkehrten und Prabir die Leute nach dem korrekten Protokoll ausfragen wollte, würde Grant sehr bald bemerken, dass er sich größtenteils mit Händen und Füßen verständlich machen musste, worauf ihr natürlich die Idee kommen würde, dass sie dasselbe auch ohne ihn bewerkstelligen könnte.
Der schmale, vernachlässigte Pfad, zu dem die Straße schließlich geworden war, führte sie in die Plantage und hörte dann ganz auf. Vorsichtig suchten sie sich einen Weg durch das Dickicht. Selbst während der Blütezeit des Gewürzhandels waren die Plantagen niemals Monokulturen gewesen, und die hohen, weiß blühenden Kanari-Mandelbäume, die man gepflanzt hatte, um den jungen Muskatnussbäumen Schatten zu spenden, schienen sich nach dem Ende menschlicher Intervention ihren Platz an der Sonne zurückerkämpft zu haben. Es war der Raum zwischen den Bäumen, der sich wieder in Dschungel verwandelt hatte: Rattan und Lianen schlängelten sich von Stamm zu Stamm, manche mit unangenehmen Dornen besetzt, und überall wuchsen hüfthohe Farne. Prabir war froh, dass er Jeans und feste Schuhe trug; auf Teranesia war er als Kind barfuß herumgelaufen, aber hier hätten seine empfindlichen Stadtfüße keine fünf Minuten heil überstanden. Grant hatte sich sogar ein langärmliges Hemd angezogen, und nach einer halben Stunde waren Prabirs Arme so zerkratzt, dass er sie trotz der Hitze darum beneidete.
Er hielt an, um nach Luft zu schnappen. »Wenn Sie mir sagen, wonach wir suchen, finden wir es vielleicht etwas schneller.«
»Fruchttauben«, erwiderte Grant kurz angebunden.
Prabir hätte beinahe eine bissige Bemerkung losgelassen, wie schwierig es war, mit unzureichender Beobachtungsgabe Feldforschung betreiben zu wollen, doch er konnte sich gerade noch rechtzeitig zusammenreißen. Fruchttauben hätten von den Plantagenbesitzern leicht als Ungeziefer klassifiziert und bis zur Ausrottung gejagt werden können, doch man hatte sie wegen ihrer praktischen Angewohnheit verschont, auf die Muskatnusssamen zu scheißen und sie damit auf natürliche Weise zu düngen. Sie hatten auf diesen Inseln ohnehin nie unter Nahrungskonkurrenz oder Raubtieren gelitten, aber hier lebten sie wie im Paradies.
Warum hatte er also noch keine einzige gesehen?
Die Tauben, an die er sich erinnerte, waren allesamt groß, laut und bunt gefärbt gewesen, aber er wusste, dass es auch kleinere Spezies gab, von denen sich einige recht gut tarnen konnten. Allerdings bestand hier wirklich kein Grund, sich lautlos und unscheinbar zu verhalten. Eigentlich müssten sie hier zu Tausenden auftreten.
»Könnten wir einen Moment anhalten?«, sagte er. »Vielleicht verjagen wir sie nur, wenn wir so viel Lärm machen.«
Grant nickte. »Das wäre einen Versuch wert.«
Prabir stand zehn
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