Teranesia
Minuten lang reglos da und starrte in das Geäst hinauf. Er hörte andere, weiter entfernte Vögel und ein konstantes Insektensummen, aber nichts, was im entferntesten an den aus seiner Kindheit vertrauten, misstönenden Lärm erinnerte.
Grant konnte der Versuchung zur Stichelei nicht widerstehen. »Wo sind sie denn nun, Adlerauge? Sie haben mir gegenüber den Vorteil der Jugend und der Erfahrung; wenn Sie sie nicht sehen, können wir sofort zum Schiff zurückkehren.«
»Führen Sie mich nicht in Versuchung.« Aber er hatte eine bessere Idee. »Haben Sie eine Kamera dabei?«
»Ja, natürlich.«
»Kann ich sie mir ausborgen?«
Grant zögerte kurz, doch dann reichte sie sie an ihn weiter.
Er betrachtete sie aufmerksam. »Wie viel hat sie gekostet?«
»Fünfhundert Euro. Was meine persönliche Definition der Abkömmlichkeit bei weitem übersteigt. Warum? Was haben Sie damit vor?«
»Haben Sie Geduld«, gebot Prabir ihr hochmütig. Die fünfhundert Euro bedeuteten, dass die Linse ein viel schärferes Bild als die Kamera seines Notepads produzieren würde, und die Stabilisierung erfolgte durch ein Laser-Ring-System statt eines billigen mikromechanischen Beschleunigungsmessers.
Grant wischte den Dreck von einem umgestürzten Baumstamm und setzte sich.
Prabir stellte die Kamera auf maximalen Weitwinkel, richtete sie auf einen zwanzig Meter entfernten Baum und zeichnete sechzig Sekunden lang auf. Dann überspielte er die Daten über Infrarotverbindung in sein Notepad.
Was er dann noch benötigte, waren drei Programmzeilen in Rembrandt, seiner Lieblingssoftware zur Bildverarbeitung. Als er die Ergebnisse auf dem Bildschirm seines Notepads betrachtete, bemerkte Grant seinen entzückten Gesichtsausdruck und kam herüber, um zu sehen, was er gefunden hatte.
Die Software hatte in fluoreszierendem Blau ein halbes Dutzend kleiner grün-brauner Vögel markiert, die sich im Geäst bewegten. Prabir blickte vom Bildschirm auf, doch selbst nachdem er nun genau wusste, wonach er Ausschau halten musste, entdeckte er immer noch keinen der Vögel in den Bäumen. Das Programm konnte sie nur durch den Vergleich Hunderter aufeinander folgender Einzelbilder identifizieren, obwohl es immer wieder ihre Spur zwischen den Blattmustern verlor.
»Sie haben keine Ahnung, wie ärgerlich das für mich ist«, beklagte sich Grant indigniert. »Ich bin mit Biologen aufgewachsen, die ständig selbstgefällige Witze über die Schwächen computerisierter Bilderkennung gerissen haben.«
Prabir lächelte. »Die Welt verändert sich.« Grant war vermutlich höchstens zehn Jahre älter als er, aber diese Vorstellung kam ihm genauso antiquiert wie die Bemerkungen vor, dass nichts fliegen konnte, das schwerer als Luft war.
»Können Sie das nochmal abspielen?«
»Klar.«
Als sie die Szene erneut betrachtete, meinte sie nachdenklich: »Ich habe Gespenstheuschrecken gesehen, die sich ähnlich gut tarnen konnten. Und manche Raubfische. Aber das hier ist außergewöhnlich.« Sie lachte und schlug nach irgendeinem Insekt, das in ihrem Nacken gelandet war. Prabir hatte erwartet, dass sie begeistert auf ihre Entdeckung reagieren würde, aber die Fähigkeiten dieser Vögel schienen sie zu entmutigen.
Prabir versuchte die Bilder aus dem Gedächtnis hervorzukramen, die Madhusree ihm in Toronto gezeigt hatte. »Sie glauben, dass es dieselbe Taube ist, die vor neun Monaten auf Ambon entdeckt wurde?«
Grant nickte. »Wir brauchen ein Exemplar, um völlig sicher zu sein, doch es sieht ganz danach aus.«
»Aber woher wussten Sie, dass wir sie hier finden würden? Ich dachte, niemand hätte die Spur weiter als bis zum Vogelhändler zurückverfolgen können.«
»So ist es, aber diese Stelle kam mir einfach am wahrscheinlichsten vor. Ich habe keine Ahnung, warum sich hier bisher noch niemand umgesehen hat. Vielleicht war es nur ein biologisches Vorurteil: Die Bandas sind keine wilde, unberührte Natur, sie sind einfach kein Hort der Biodiversität. Wie sollte an einem so ›unfruchtbaren‹ Ort eine neue Spezies entstehen können?«
»Verraten Sie es mir?«
»Das werde ich tun, sobald ich es weiß.«
Grant hatte ein Betäubungsgewehr mitgenommen. Prabir improvisierte eine Software, die die Umrisse der Vögel mit minimaler Zeitverzögerung zeigte; trotzdem brauchten sie drei Stunden, bis sie ihren ersten Treffer landeten. Als er den schlafenden Vogel aus dem Dickicht holte, dachte er mit einem gewissen Unbehagen an die möglichen Ursachen der Mutationen. Nach
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