Terminal 3 - Folge 1: Sterben hat seine Zeit. Thriller (German Edition)
Und: »Danke«, nachdem ich Zeitung und Tasche aufgehoben habe.
»Hat Ihr Flug Verspätung?«, fragt die Frau. Ihr Kleid ist schwarz und schlicht.
Ich nicke, weil das die kürzeste Antwort ist. Ich will einfach nur hier sitzen und meinen Whiskey trinken, mir ist nicht nach reden zumute. Aber sie sieht mich weiterhin an, schaut immer wieder zu mir rüber, und schließlich frage ich: »Und Ihrer?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich komme nur so her«, sagt sie. »Ich wohne in der Gegend.«
Ich schaue mich um. »Ist ja auch ganz nett hier.«
»Finde ich auch.« Dann fragt sie: »Kommen Sie öfter her?«
»Nein«, sage ich. »Normalerweise fliege ich über den SFO. Geht schneller.«
»Ach so«, sagt sie. »Ich dachte, ich hätte Sie hier schon mal gesehen.«
»Nein«, sage ich. Und dann füge ich hinzu: »Gibt viele, die so aussehen wie ich.«
»Nein. Leider nicht.«
Sie lächelt, kleine Falten um die Augen, und ich lächele zurück.
Wir rücken einen Barhocker näher, sitzen nebeneinander, trinken, reden.
»Ich heiße übrigens Angela«, sagt sie.
»Michael«, sage ich. Und zwei Sekunden später: »Aber nenn mich bitte Walter.«
»Wieso?«, fragt sie.
»Das ist mein zweiter Vorname. Mein Großvater hieß Walter. Ich mag den Namen. Aber irgendwie nennt mich niemand so. Ich weiß auch nicht, warum.«
»Okay«, sagt sie. »Dann also Walter.«
Sie komme aus dem Süden, erzählt Angela, aus St. Johns, irgendeine Kleinstadt in Arizona. Mit Mitte zwanzig sei sie nach San Francisco gekommen. »Der Liebe wegen«, sagt sie. Doch das sei schon lange vorbei, der Mann längst bei einer anderen. Das Haus am Stadtrand sei das Einzige, was ihr aus dieser Zeit geblieben ist. Sie trinkt und ab und an berührt sie meinen Arm, lächelt. »Ich rede schon wieder die ganze Zeit nur über mich«, sagt sie. »Entschuldige. Erzähl mal, was machst du denn so?«
Allison Turner
Auf der Südseite ragen drei Emporen ins Terminal hinein. Jedes Stockwerk ist größer als das darüberliegende, wie eine überdimensionale Treppe. Zwischen den Ebenen gleiten Fahrstühle in gläsernen Schächten auf und ab. Rechts neben der Treppe ein sechs- oder siebenstöckiges Gebäude mit Glasfront. Über dem Eingang fünf silbergraue Buchstaben in Helvetica: Hotel.
Die Lobby ist groß und altmodisch und will so gar nicht zu der spröden Fassade passen. In der Mitte eine breite Rezeption. Zu den Seiten hin, drei Stufen tiefer, Sitzgruppen aus niedrigen Sesseln, kleine Tische mit Beistelllampen und Tageszeitungen.
Michael steuert auf eine der Rezeptionistinnen zu, und ich folge ihm. In meinem Kopf rauscht ein Transistorradio. Der Teppich ist bordeauxrot und weich und irgendwie uneben, der Trolley kommt ins Schlingern.
»Herzlich willkommen«, strahlt die junge Frau hinter der Rezeption. »Mein Name ist Karen. Was kann ich für Sie tun?«
»Wir bräuchten ein Zimmer«, sagt Michael und zeigt auf mich. »Also … Wir bräuchten beide ein Zimmer, also zwei Zimmer.«
»Ah ja«, macht Karen. »Deswegen hatte Mister Bookbinder gerade schon angerufen.«
Sie präsentiert zwei Reihen perfekter weißer Zähne.
Michel sieht mich an, als wolle er etwas sagen, aber er tut es nicht. Also ziehe ich den Reißverschluss meiner Handtasche auf und suche nach meinem Führerschein.
Fünf Minuten später gleitet der Fahrstuhl nach oben, und ich lehne an der Wand und fühle mich alt.
Lennard Fanlay
Der Bereich wird abgesperrt, Schaulustige sammeln sich, das SFPD wird informiert. Genauso wie viele Dutzende Male zuvor. Wir stehen vor der Absperrung und warten. Rachel, Marc und ich. Alles ist wie immer. Doch dieses Mal bringt die Routine keine Sicherheit mit sich, keine Ruhe. Etwas hat sich verändert mit dem roten Koffer. Die Nervosität ist eine andere, etwas ist dazugekommen. Ich spüre die Angst um mich herum. In mir selbst.
Marisa steigt in den Schutzanzug. Sie sieht müde aus. Ich kann die dunklen Ringe unter ihren Augen sehen. Sie schaut nicht herüber.
Es ist nur ein Koffer, denke ich. Es fühlt sich an wie ein Gebet.
Marisa setzt sich in Bewegung, jeder Schritt dauert eine Ewigkeit. Die Zeit dehnt sich. Marisa kniet vor dem schwarzen Trolley. Sie sucht in ihrem Besteck nach dem richtigen Werkzeug. Ein leises Brummen ist zu hören, der Bohrer.
Sie bohrt die Schlösser auf.
Sie öffnet den Koffer.
Sie steht auf.
Der Koffer gerät ins Wanken, kippt um, Plastiktüten klatschen auf die Fliesen, Blut läuft durch die Fugen, ein Stöhnen geht durch die Menge.
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