Terra Madre
Aspekt des städtischen Lebens oder eine Ecke der Stadt. Unser Ansatz ist nicht allzu ernsthaft. Wir sind keine akademischen Historiker, sondern mehr eine informelle Gruppe. Wir beschäftigen uns mit Mikro-Geschichte und Personen, die sich kennen oder kannten. Wir machen Video-Interviews von alten Menschen und von den Beteiligten an den Ereignissen, über die wir schreiben. Stück für Stück bauen wir ein für unsere Stadt sehr wertvolles Archiv auf.
Im Programm von Terra Madre wird den Lebensmittelbündnissen empfohlen, Vereinigungen und Gruppen zu bilden, die sich mit der lokalen Erinnerung befassen. Sie sollen ihre Geschichte festhalten, damit nicht vergessen wird, wie unsere Ahnen lebten. Viele Bündnisse interessieren sich, reagieren positiv und informieren sich darüber, was wir in Bra auf die Beine gestellt haben. Einige haben bereits eigene Initiativen entwickelt, da sie bei sich ähnliche schon vorhandene Einrichtungen vorfanden. Mit Nostalgie hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass ein zweistündiges Video, in dem ein alter Mensch einfach nur sein Leben erzählt, immer auch mindestens einige kleine Anregungen enthält. Sie mögen zunächst zweitrangig erscheinen, können junge Menschen aber dazu inspirieren, Kreativität zu entfalten, die Gegenwart neu zu deuten, sich neu zu engagieren, sich besser über das eigene Sein bewusst zu werden. Diese Videos können stolz machen, Teil einer großen kollektiven Geschichte zu sein.
Innerhalb eines Netzwerkes aus lokalen Bündnissen, die sich alle bemühen, die eigene Erinnerung zu bewahren, könnte man sehr bedeutende Datenbanken aufbauen. Sie wären reich an Anregungen und Geschichten, würden Techniken aufzeichnen, die längst überholt scheinen, es jedoch nicht sind. Sie enthielten Lebensarten, die uns glücklich machen könnten. Eine solche Datenbank hätte in jedem Fall einen unermesslichen Wert und wäre darüber hinaus eines der wirkungsvollsten Bollwerke gegen die Verbreitung eines Einheitsdenkens.
Austausch zwischen den Generationen
In einer Gesellschaft der Verschwendung, die nur für Neuheiten zu leben scheint, verliert alles Alte an Bedeutung. Es kann ohne Zögern geopfert werden. Waren, die im Supermarkt ihr Ablaufdatum erreicht haben, sind alt; ein Produkt ist alt, sobald ein gleichartiges »verbessertes« auf den Markt kommt; alt ist die Technologie, die inzwischen in exponentiell wachsendem Tempo als überholt gilt. »Alt« sind auch die alten Menschen. Vielleicht sollten wir uns die heilige Verehrung ins Gedächtnis zurückrufen, mit der die Alten in vielen traditionellen und ländlichen Gesellschaften bedacht wurden. Wie behandeln wir heute unsere Alten? Wie eine Belästigung, deren Anblick man vermeiden möchte, wie etwas, das man im Altenheim wegsperren oder einem Pfleger überlassen möchte. Altsein wird nicht mehr als die Zeit der Weisheit verstanden, sondern nur noch als Verfall und Nutzlosigkeit. Aus gesellschaftlicher Sicht unterbricht dieses Verständnis von Alter die Kommunikation und den Kontakt zwischen den Generationen fast vollständig.
Ich möchte hier nur ein Beispiel anführen. Unsere gastronomische Erinnerung wurde in erster Linie von unseren Großmüttern geformt. Sie lehrten uns zu essen und zu genießen, sie kochten uns Speisen, die wir nie vergessen werden und die unseren Geschmack für immer bestimmen. Ich wüsste nicht, wo die jungen Generationen heute bessere Lehrmeisterinnen, wichtigere Erzieherinnen finden könnten.
Die lokalen Wirtschaftssysteme haben daher auch die Aufgabe, sich der generationenübergreifenden Beziehungen anzunehmen. Sie müssen Möglichkeiten für die Übermittlung des Wissens von einer Generation zur nächsten schaffen.
Während sich die ländlichen Gebiete entvölkern, steigt das Durchschnittsalter der Bevölkerung immer weiter an, doch niemand nimmt das Erbe der Alten auf. Eine Rückkehr der jungen Leute aufs Land und ein Engagement in der Lebensmittelproduktion wird ohne die Alten nicht gut möglich sein, denn sie hielten bis jetzt die Fäden in der lokalen Wirtschaft in der Hand, in der Erinnerung und Modernität auf ideale Weise verschmelzen können.
Viele Lebensmittelbündnisse und Convivien von Slow Food zeigen dies eindrucksvoll. Slow Food Irland richtete etwa einen »Grandmother’s Day« ein, der am 25. April gefeiert wird und an dem die Kinder einen Tag mit ihren Großeltern in der Küche verbringen. Auf Wettbewerben stellen sie dann das Gericht vor, das sie am
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