Terra Madre

Produktion bei Biokraftstoffen. Es ist ertragreich, und gemessen an seinem Energiewert sind die negativen Auswirkungen bei seiner Herstellung vergleichsweise gering. Aber soll Brasilien die neue Tankstelle der Welt werden? Ist es nachhaltig, dieses »neue Benzin« durch die ganze Welt zu transportieren? Und dafür riesige Wälder im Amazonasgebiet zu roden?
    Noch komplizierter und schwieriger wird die Situation angesichts einer ganzen Reihe weiterer, nicht gerade sekundärer Probleme. Mit dem Ethanol-Boom hat sich der Preis von Mais aus den USA in zwei Jahren um fast 200 Prozent erhöht. Gleichzeitig ging man in Mexiko auf die Straße, um gegen die Verteuerung der Tortillas, die aus Mais gebacken werden, zu protestieren.
    Wie nachhaltig ist es, für die Erzeugung von Kraftstoffen der Lebensmittelproduktion Räume und Mittel zu entziehen? Ist das moralisch vertretbar? Mit dem Getreide, das nötig ist, um den Tank eines Geländewagens zu füllen, könnte sich ein Mensch ein ganzes Jahr lang ernähren.
    Energieleistung, Abholzung, Lebensmittelsicherheit, politische Interessen, Landwirtschaftspolitik, GVO, Industrielobbys: Wenn man alle diese Aspekte bedenkt, kann man sich bei der Berechnung der Nachhaltigkeit von Biokraftstoffen auf globalem Niveau in einem Irrgarten verlieren.
    Der Herausforderung wird man, wie in vielen anderen Bereichen auch, nur gewachsen sein, wenn man sie vor allem auf lokaler Ebene austrägt. Nur dort ist man noch in der Lage, den gesunden Menschenverstand einzusetzen und annähernd die Nachhaltigkeit der Produktions- und Konsumprozesse zu berechnen. Nur direkt vor Ort kann man im Notfall die Prioritäten schnell von Biokraftstoffen auf die Ernährung verlegen und die Ressourcen (auch Abfälle und Ausschuss) so vorteilhaft wie möglich nutzen.
    Wiederverwertung, Recycling, Sparen
    Bei den Lebensmittelbündnissen sind Wiederverwertung, Recycling und Sparen gängige Praxis, wie auch in jeder Familie dies drei zentrale Voraussetzungen für eine gute Hauswirtschaft sind. Diesen Regeln kann sich auch »die Wirtschaft«, die unser gemeinsames Haus verwalten sollte, nicht entziehen.
    Auch hier ist die Organisation des Sparens, der Wiederverwertung und des Recyclings eine Frage der Kontrolle des Systems, und vermutlich wird sie von der örtlichen Bevölkerung am einfachsten und besten ausgeübt werden. Wiederverwertung, Recycling und Sparen sind aber auch mit praktischem Handeln verbunden, dessen Know-how gelehrt werden muss und das sich sowohl uralter als auch neuester Techniken und Technologien bedient. Dieses Wissen hat sich im lokalen Umfeld infolge der Anpassung an die Eigenschaften des jeweiligen Gebiets über Jahrhunderte gebildet. Die Volksweisheit wirkt hier sowohl auf dem Feld der Energie als auch bei der Ernährung als Lehrmeisterin und hat wahrhaft geniale Erfindungen hervorgebracht. Genannt wurde bereits die Küche mit ihren Rezepten, in denen alle Teile der Tiere oder Pflanzen verwendet werden. Das gleiche ist der Fall bei der Produktion häuslicher Energie oder von Handwerksprodukten, und zwar nicht nur für den häuslichen oder familiären Gebrauch. Viele Handwerksprodukte entwickelten sich mit der Zeit zu typischen Erzeugnissen, die für eine bestimmte Gegend charakteristisch wurden. Ein Beispiel sind etwa Kuhhörner, aus denen Messergriffe oder andere Werkzeuge hergestellt werden.
    Die lokale Wirtschaft schärft den Verstand, denn sie muss ja stets versuchen, das Bestmögliche aus dem Vorhandenen zu ziehen. Ich möchte hier keineswegs einer Rückkehr in die Vergangenheit das Wort reden, als vor allem Mangel und Armut die Antriebskräfte der Kreativität waren. Die Vergangenheit kann aber als Beispiel dienen, uns aufzeigen, wie man gesunde, solide Prozesse anstoßen kann, die uns ein Einkommen oder zumindest das Überleben sichern, ohne dabei allzu schädlich für die Umwelt zu sein – vielmehr dazu beizutragen, sie zu erhalten.
    Anders als Recycling und Sparen, die gleichwohl Werte von grundlegender Bedeutung sind, ist Wiederverwertung sicherlich das große Thema unserer Zeit. Sämtliche kulturellen Tendenzen laufen gerade in diese Richtung, von der Musik über das Kino und die Mode bis hin zur Literatur. Dank der schnellen und umfassenden Suchfunktionen des Internets wurde das Zitat zum Leitmotiv des Jahrhunderts. Unbewusst oder absichtlich werden Begriffe, Ideen, die ganzen immateriellen Dinge dieser Welt von uns wiederverwendet. Warum sollten wir das nicht auch mit den materiellen