Terra Madre
Madre Tag, der am 10. Dezember 2009, dem 20. Jahrestag der Gründung von Slow Food Internazionale und der Veröffentlichung seines Manifests, zum ersten Mal gefeiert wurde und seitdem jedes Jahr an diesem Datum begangen werden soll. An diesem Tag organisieren alle Bündnisse der Welt, aber auch alle Convivien von Slow Food, die Presidi- und die Garten-Projekte sowie alle Menschen, die auf irgendeine Weise mit dem Netzwerk verbunden sind, eine – manchmal nur kleine – Feier. Das alle zwei Jahre stattfindende Treffen wird also ergänzt durch diesen ganz besonderen Jahrestag, der ein Moment der Rückbesinnung für die ganze Welt sein soll. An unzähligen Orten feiern die Lebensmittelbündnisse mit Musik, Liedern und Geselligkeit, und alle sind eingeladen, diese Freude mit ihnen zu teilen. So fühlen wir uns auch über große Entfernungen hinweg vereint, weil wir wissen, dass zur gleichen Zeit Menschen auf der ganzen Welt den Terra Madre Tag feiern und sich für bessere, nachhaltigere und demokratischere Lebensmittel einsetzen. Dieser Tag verbreitet viel Enthusiasmus und erfüllt alle mit Stolz und neuer Leidenschaft. Wer weiß, was das alles vor Ort noch bewegen kann!
Terra Madre muss bei der Suche nach Investoren auch auf lokaler Ebene immer unabhängiger werden. Wir stellen uns diese Investoren als Mäzene vor, die ihren Reichtum statt in die Schönheit von Kunstwerken in die Schönheit der Nahrung, der Landwirtschaft, der Natur, der Nachhaltigkeit und des Glücks investieren. Dank der genannten strengen Anarchie, des uneingeschränkten Respekts für den Unternehmungsgeist und der Kreativität aller, ohne Unterschied, wird auch die Dezentralisierung der Finanzen gelingen. Und man wird Mittel finden, um sich alle zwei Jahre in Turin zu treffen, um lokale Initiativen auf den Weg zu bringen, um sich noch besser zu vernetzen, um zu forschen, zu teilen, sich auszutauschen und bei Bedarf zu reisen. Vor allem die junge Generation soll in den Genuss dieser Möglichkeiten kommen.
Die Zukunft von Terra Madre wird stets von der Freiheit geprägt sein, Initiativen anzustoßen, die Ernährungssouveränität zu gewährleisten und Herr über die eigene Existenz zu sein. In gewisser Weise muss sich Terra Madre auch von sich selbst befreien, von den Personen, die es erdacht haben und organisieren. Es muss sich ganz und gar der eigenen Wirklichkeit verschreiben, die aus Millionen, ja Milliarden verschiedener Wirklichkeiten und menschlicher Leben besteht, die alle die gleiche Würde wie die Natur besitzen. Keiner darf ihnen das Recht nehmen, glücklich zu leben – selbst dann nicht, wenn er im Namen ihres Wohlergehens und in bester Absicht handelt.
Terra Madre wird sich immer stärker auf die lokale Dimension konzentrieren und dadurch immer nachhaltiger, effizienter und vor allem – und das ist kein Paradox – globaler werden. Denjenigen zum Trotz, die die Befürworter der lokalen Wirtschaft als »globalisierungsfeindlich« abstempeln, sind wir von Terra Madre globaler als alle anderen, weil wir uns bewusst sind, dass wir ein lebendiger, aktiver und kreativer Teil unserer Mutter Erde, der Terra Madre, sind.
Brief von Enzo Bianchi, Prior des Klosters Bose
Mein lieber Carlin,
bei meiner Rückkehr aus Paris fand ich den Umschlag mit den Druckfahnen deines Buches vor. Ich war an die Seine gefahren, um am Collège des Bernardins die Eröffnungsrede der Tagung zu Franz von Assisi zu halten, 800 Jahre nach der Approbation seiner Regel. An diesem Tag in Paris wurde ich mehrmals eindringlich an den Bettelmönch erinnert. Auf dem Bürgersteig in der Avenue Voltaire konnte ich zum Beispiel lesen: »L’âge de l’or était l‘âge où l’or ne régnait pas« (das goldene Zeitalter war das Zeitalter, in dem das Gold nicht regierte), und ein Kinoplakat gab mir diesen Spruch mit auf den Weg: »Every man dies, not every man really lives« (jeder Mensch stirbt, aber nicht jeder Mensch lebt wirklich), mit andern Worten: Lieber den Tagen Leben geben, als dem Leben Tage!
Mit diesen Echos im Herzen bin ich jetzt hier und gehe deinen Text durch. Erneut lese ich deine Eröffnungsrede auf dem Terra-Madre-Treffen am 23. Oktober 2008 in Turin und sehe sie vor mir, die aufmerksamen Gesichter der Bauern, Fischer, Nomaden, Köche, der jungen Leute, die aus 153 Ländern der Erde, unserer geliebten Erde, kamen. Die visionären Worte von Helder Camara klingen in meiner Erinnerung wie eine zarte Melodie: »Wenn die Arbeit die Kleider der Demütigen und
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