Terra Mater
zuckenden Blitzen und lautem Donner.
Unter dem Tisch in der Grotte entdeckte Tixu eine antike Autolumine, eine transparente Kugel, die mittels magnetischer Energie sowohl Licht als auch Wärme spendet. Er drückte auf den Einschaltknopf, und das kleine Gerät heizte sich auf und leuchtete gelborange. Die beiden zogen sich aus und legten ihre Kleider auf den Tisch und den Boden. Dann hüllten sie sich in die Decken ein und setzten sich auf das Stroh.
»Yelle …«, schluchzte Aphykit und weinte.
»Wir finden sie«, sagte Tixu und nahm Aphykit in die Arme.
Ein großer Friede herrschte in dieser Höhle und befreite Tixu von Kummer und Angst. Er fand sich wieder, eine heitere Gelassenheit erfüllte ihn. Denselben Zustand dieses In-sich-Ruhens hatte er im tiefen Wald auf dem Planeten Zwei-Jahreszeiten erfahren, ebenso im Haus Stanislav Nolustrists, des marquisatinischen Hirten, und auf der Insel Monager von Selp Dik – alles Orte voller Geheimnisse und Magie.
»Wo ist sie? Was macht sie? Warum ist sie davongelaufen?«, fragte Aphykit und seufzte.
»Vielleicht ist sie zu Shari gegangen …«
»Vielleicht … vielleicht wurde sie von dem Blouf gefressen …«, sagte Aphykit und brach in Tränen aus. Er streichelte zärtlich ihre Stirn und ihre Wangen.
»Der Blouf, das ist doch nur eine Bezeichnung, ein Symbol. Symbole können einen nicht fressen …«
»Ich weiß nicht. Ich weiß überhaupt nichts mehr. Sie spricht davon, als handele es sich um ein wildes Monster.«
»Wir begreifen noch immer nicht, was sie eigentlich damit sagen will …«
»Weil wir uns nie die Zeit genommen haben, ihr richtig
zuzuhören. Weil wir ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenken, Tixu. Wir haben das Wesen unserer Tochter nicht erkannt.«
»Der Himmel weiß, dass ich sie liebe. Doch manchmal habe ich den Eindruck, sie lebt in einer anderen Welt. Sie spricht eine andere Sprache. Sie sieht und hört Dinge, die wir weder sehen noch hören.«
»Sie ist aber auch das Kind, das ich geboren habe … Ein Kind, das jeden Tag Millionen Sterne sterben sieht, braucht viel mehr Zuwendung als ein normales Kind …«
Grell zuckende Blitze und ohrenbetäubender Donner unterbrachen Aphykits Worte. Beide schwiegen eine ganze Weile. Dann hatten sie das dringende Bedürfnis, einander zu berühren, ihre Körper miteinander zu vereinen.
Sie liebten sich, langsam und der Verzweifl ung nahe, mit der Vorahnung, es würde ein letztes Mal sein, wo sie sich fühlten, schmeckten, erforschten. Ihre Lippen und Hände kannten bereits den Schmerz der Trennung.
Aphykit öffnete sich ihrem Mann wie nie zuvor, so als wolle sie ihn vollständig in sich aufnehmen. Und Tixu verlor sich in den blau-grün-goldenen Augen seiner Frau, in ihrem weichen duftenden Schoß – bis sie ihn anflehte, in ihr zu sterben.
Aphykit war auf dem Strohlager eingeschlafen. Tixu saß neben ihr und betrachtete sie sehr lange. Seine Frau war im Schlaf von überirdischer Schönheit. Draußen wütete das Unwetter noch immer – eine majestätische Symphonie, während das schwindende Licht der Autolumine vor der Dunkelheit kapitulierte.
Schon jetzt überkam Tixu eine tiefe Sehnsucht nach seiner Frau, und Verzweiflung schnürte ihm die Kehle zu.
Würde er jemals Gelegenheit haben, ihr eines Tages für das Glück zu danken, das sie ihm geschenkt hatte? Sechzehn Jahre lang hatte er in einem Stadium der Verzauberung gelebt, so als hätte die Zeit stillgestanden – ein Intermezzo in einer im Untergang begriffenen Welt.
Er widerstand dem Verlangen, sie zu wecken und mit Zärtlichkeiten zu überhäufen, stattdessen schloss er die Augen und versenkte sich in das Antra.
Die Vibrationen des Lebensklangs trugen ihn in die Festung der Stille, in ihr Herz, von dem aus alle Pfade abzweigen, vergangene, gegenwärtige und künftige. Doch im Gegensatz zu seinen Erfahrungen der vergangenen sieben Jahre – wo kein Pfad ihm vielversprechend erschienen war und er viele beschritten hatte, die nirgendwohin führten – erregte ein dunkler Eingang seine Neugier. Er betrat einen schmalen gewundenen Pfad, der von Abgründen gesäumt war. Dort herrschte eine unerträgliche, bis ins Mark dringende Kälte. Trotzdem kehrte Tixu nicht um.
Am Ende des Pfads hauste ein riesiges Monster. Zur einen Hälfte bestand es aus Materie, zur anderen Hälfte aus dem Nichts. Diese Kreatur war mit einem Panzer ausgestattet, dunkel und behaart, von dem, sternförmig angeordnet, zwölf Tentakel mit zahlreichen
Weitere Kostenlose Bücher