Terra Mater
her in das dunkle Labyrinth des bischöflichen Palastes zu Venicia. Die feuchte Kälte in den Gängen ließ den Kardinal erschauern. Er bedauerte es, den Argumenten seines Privatsekretärs, Bruder Jaweo Mutewa, gefolgt zu sein. Der hatte ihn überzeugt, sich insgeheim mit den Führungskräften des Vikariats zu treffen. Jetzt fürchtete er, in ein Räderwerk geraten zu sein, das ihn zu zermalmen drohte. Denn er wusste: Innerhalb dieser Mauern wurden zahllose Intrigen gesponnen. Ein wachsendes Unbehagen erfüllte ihn. Er war in der Kunst des Ränkespiels nicht geübt und fühlte sich wehrlos. Außerdem beraubte ihn diese nächtliche Zusammenkunft des Vergnügens eines Spaziergangs durch die Straßen Romantiguas – des Altstadtviertels der Hauptstadt des Ang-Imperiums –, bei dem er die einzigartige Süße der Zweiten Nacht hätte genießen können.
Nicht enden wollende Sitzungen dieses außerordentlichen Konklave – zu dem etwa fünftausend Kardinäle einschließlich der Gouverneure unbedeutender Planeten eingeladen worden waren – ließen ihm wenig Zeit für Vergnügungen. Vom Morgengrauen des ersten Tages bis zur Dämmerung des zweiten saßen sie, bis auf kurze Pausen, durchgehend in dem großen Amphitheater.
Als Fracist Bogh per Messacode die Einladung bekommen hatte, war er bei dem Gedanken, Syracusa wiederzusehen, hocherfreut gewesen. Er hatte sich geschworen, endlich die Stadt kennenzulernen, weil ihm das während seines siebenjährigen Studiums an der Hochschule für die Heilige Propaganda, der HFHP, nicht vergönnt war.
»Ist es noch weit?«, fragte er den vorausgehenden Vikar.
Der Geistliche – eine schwarze, übellaunige Spinne – hielt es weder für nötig sich umzudrehen noch zu antworten. Die unterirdischen gewölbten Gänge wurden immer schmaler, immer schmutziger, immer feuchter. Sofort musste Fracist Bogh an das bedrückende Klima auf Ut-Gen denken, und genau dieser Atmosphäre hatte er entkommen wollen, seit er sich auf Syracusa rematerialisiert hatte. Er hatte die schwache Hoffnung, dass seine Vorgesetzten ihn bald seines Amtes als Gouverneur dieses ungeliebten Planeten entheben und ihm andere Aufgaben in einer anderen Welt zuweisen würden. Warum nicht auf dem Marquisat, seinem Heimatplaneten? Marquisat, wo er Zeuge des Martyriums von Dame Armina Wortling gewesen war; Marquisat, das Symbol der Verletzung seiner Seele; Marquisat, der einzige Planet, auf dem er die ihn quälenden Geister seiner Vergangenheit endlich würde besiegen können.
Er hörte das Rascheln der Kutten seiner Gedankenhüter und sah im trüben Licht der Deckenlampen viele Nischen und ovale Öffnungen in den Wänden, Zugänge zu weiteren Gängen.
Der Vikar blieb vor einer Tür aus Metall, die mit einem codierten Schloss versehen war, stehen. Aus seinem schwarzen Chorhemd nahm er einen Schlüssel, drückte auf eine Anzahl Tasten, und die Tür schwang dumpf knirschend auf.
»Eure Gedankenhüter werden hier auf Euch warten, Eminenz.«
»Ich trenne mich nie von ihnen!«
»Seid unbesorgt, Eminenz. Hier existiert der mentale Schutz nicht. Denn kein Scaythe darf die Gruft betreten. Diese Regel gilt sowohl für die Inquisitoren als auch für die Auslöscher.«
Der Kardinal hatte zwei Möglichkeiten: umzukehren oder zu gehorchen. Obwohl er sich manipuliert glaubte, entschied er sich für die zweite. Er konnte nicht mehr zurück, und seine Neugier musste jetzt gestillt werden.
»Ich hoffe zutiefst, dass Sie mich nicht täuschen, Bruder!«
Ein finsteres Lächeln machte das wachsbleiche Gesicht des Vikars noch unangenehmer, als er sagte: »Ihr dürft nicht vergessen, Eminenz, dass wir uns hier an einem heiligen Ort befinden … Vielleicht dem heiligsten des Kreuzianismus’. Ich werde mit Euren Gedankenhütern auf Euch warten. Tretet ein, Eure Eminenz.«
Fracist Bogh betrat einen Raum mit gewölbter Decke, in dessen Wände kleine ovale Nischen eingelassen waren. Darin waren transparente Luftkugeln ausgestellt, in deren Innerem seltsame bräunliche Gebilde schwammen, die vom diffusen Licht der Deckenleuchten angestrahlt wurden. Es herrschte ein atemberaubender Gestank an diesem Ort. Er erinnerte den Kardinal an Essenzen, die zum Einbalsamieren verwendet wurden oder an Desinfektionsmittel.
Er ließ seinen Blick durch die Gruft wandern, diesen großen, von dickbäuchigen Säulen gestützten Raum, und weil er niemanden entdecken konnte, sah er sich eine der Luftkugeln näher an. Er brauchte fast eine Minute, bis er
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