Terra Mater
Kopf.
»Und du?«
»Die Interlisten scheinen meine zellularen Koordinaten nicht zu kennen«, antwortete Marti. »Seltsamerweise auch nicht die Robin de Pharts, obwohl er seit fünfzehn Jahren auf dem Index steht. Trotzdem hatte ich vor den franzianischen Beamten Angst, aber sie haben uns keine Schwierigkeiten gemacht. Wahrscheinlich haben sie zu viel Arbeit mit diesen Skoj-Emigranten.«
»San Frisco ist desertiert …«, murmelte Jek traurig nach kurzem Schweigen. Das kam ihm wie Verrat vor.
»Mach dir um den keine Sorgen«, sagte Marti. »Er ist Jersaleminer, und wir können nicht wissen, was in den Köpfen dieser Leute vor sich geht. Während deiner Gefangenschaft
habe ich die Zeit genutzt und mich über die Schleuser erkundigt. Mit einem ihrer Kundenfänger – einem Shelam, wie sie diese Leute hier nennen – bin ich verabredet. Komm, wir gehen!«
Doch Jek rührte sich nicht.
»Was ist los, Prinz der Hyänen?«
»Ich habe Hunger!«
Marti suchte in seinen Taschen und brachte ein paar gelbe Münzen zum Vorschein. Er ging zu einem der Straßenhändler und kaufte mit Fleisch gefüllte Teigtaschen und zwei Flaschen mit einem grellfarbigen Getränk.
»Jetzt habe ich kein Geld mehr«, sagte er und seufzte.
Die beiden gingen zu einem mit Bäumen gesäumten Platz, deren durchsichtige Blätter in ein rotes Licht getaucht waren, setzten sich auf eine Steinbank und begannen zu essen.
»Der Kontaktmann müsste bald da sein«, sagte Marti und warf den bunten Lyra-Vögeln, die sie inzwischen umringten, ein paar Brocken zu.
Jek hätte ihnen gern auch etwas gegeben, doch er war so ausgehungert, dass er gut die doppelte Portion hätte essen können. Die angenehme warme Luft, der Duft der Blüten, der Gesang der Vögel, das alles versetzte ihn in einen fast tranceartigen Zustand. Er hatte das Gefühl, wiedergeboren zu sein, und ihm wurde bewusst, dass seine lange Reise durch das All in diesem künstlichen Raum nur eine Episode in seinem Leben gewesen war, eine dem Tode ähnliche Finsternis. Auf Franzia hingegen gefiel ihm alles, die Einheimischen mit ihrer matten, gebräunten Haut, sogar die blassen, exzentrisch gekleideten Touristen und die Straßenhändler, und das köstliche Obst und Gemüse, das so ganz anders aussah und roch als die Produkte auf Ut-Gen.
Doch hier und da konnte Jek bereits Zeichen erkennen, die auf eine Veränderung deuteten, auf eine Beschränkung der Freiheit und Unbeschwertheit der Franzianer. Er sah kreuzianische Missionare im Colancor und safranfarbenen Chorhemd, scaythische Gedankenschützer und über den Hausdächern die schlanken Türme einer großen Kirche. Zwischen dem Geäst der Bäume entdeckte er die charakteristische Form eines Feuerkreuzes. Ebenso fiel ihm auf, dass viele Menschen – sowohl Einheimische als auch Fremde – bereits der Mode des Colancors, samt den geflochtenen Strähnen unter der Haube folgten. Das Spinnennetz der Kirche des Kreuzes über Franzia wurde immer dichter.
Ganz plötzlich wurde Jek klar, dass Feindschaft zwischen den Kreuzlern und den Kriegern der Stille herrschte. Die einen vergifteten das Leben, die Luft und das Licht, strebten nach der Herrschaft der In-Creatur, nach dem Nichts, während die anderen das pralle Leben mit allen seinen Farben und Formen liebten. Die einen waren die Boten der Finsternis, die Propheten der Vernichtung, die anderen aber die Verkünder der Schöpfung. Er glaubte, tief in seinem Innern einen zarten Klang zu hören, einen leisen Gesang, der die Stille nicht störte, weil er selbst Ausdruck dieser Stille war.
Da traten Tränen in seine Augen. Ihm war, als würde er einem leuchtenden Pfad durch die Lüfte folgen, der ihn zum Kern seines Wesens führte. Ich bin nicht mehr Jek At-Skin, ein kleiner Anjorianer, dachte er, aber ein Jek des Lichts, ein Brückenbauer zwischen Vergangenheit und Zukunft, eine Arche für das Universum, eine Seele der Ewigkeit. Weder Jung noch Alt, weder Klein noch Groß, weder unwissend noch weise – doch das alles bin ich zugleich …
Erschaudernd wurde ihm bewusst, dass er diesen Moment
der Erkenntnis nie erlebt hätte, wäre er bei dem Dogen Papironda geblieben. Und er war dem Unbekannten, der die beiden Wächter getötet und ihn befreit hatte, unendlich dankbar. Auch Marti, seinem großen Bruder, war er dankbar, so dankbar, dass er ihn spontan auf die Wange küsste.
Doch Marti warf ihm nur einen befremdeten Blick zu. Was Jek nicht weiter störte. Er beendete seine Mahlzeit und genoss jeden
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