Terra Science Fiction
Treppenhauses gelegen war, rief sie nach ihm:
»Komm herein und gib mir einen Gutenachtkuß, Liebling! Ich bin noch wach!«
Wieder zögerte er. Was ist in mich gefahren? fragte er sich, plötzlich von einer unergründlichen Angst erfüllt. Was soll ich tun?
Etwas traf ihn wie ein Schock, eine Erinnerung an etwas, das er an diesem Abend hatte tun wollen. Da war etwas gewesen und auch jetzt noch in seinem Unterbewußtsein. Aber was war es?
Er öffnete die Tür so scheu wie ein Mann, der zum erstenmal das Schlafgemach einer Frau betrat. Judith hatte die Angewohnheit, ohne Bekleidung zu schlafen, und er wollte sie nicht nackt überraschen.
Ein Blick auf das Bett löschte die Angst aus, ehe sie zu mehr werden konnte. Judith trug ein blaues Negligé. Marriott seufzte erleichtert, doch ihre ersten Worte verunsicherte ihn sofort wieder.
»Leg dich für eine Minute zu mir hin«, flüsterte sie.
Er zog die Schuhe aus und schob sich vorsichtig auf die freie Hälfte des Bettes. Etwas drängte in ihm an die Oberfläche. Er sträubte sich dagegen, doch lediglich mit dem Erfolg, daß die ihm unverständlichen Gedankenbruchstücke ihm noch heftiger zusetzten. Eines dieser Fragmente war die Frage: Was tue ich hier in dieser … Zukunftswelt?
Sie war da. Er dachte sie völlig klar, doch bevor er sich daran festklammern konnte, war sie auch schon wieder in die finsteren Korridore seines Unterbewußtseins entwichen. Was blieb, war das Unbehagen, eine nie gekannte Verunsicherung. Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete er Judith.
Allein ihr Gesicht verriet ihr Alter. Ihre Haut und ihr Körper waren die eines Mädchens geblieben. Die Haut war hell und straff, soviel er jetzt von ihr sehen konnte. Judiths Figur zeichnete sich unter dem Negligé ab, und sie war die der jungen Frau, die er geheiratet hatte. Marriott ertappte sich dabei, wie er nach der Messerstichnarbe über ihrem Herzen suchte. Das Nachtgewand, zwar fast durchsichtig, bestand aus einem schillernden Stoff, der nun das Licht reflektierte und nichts darunter erkennen ließ.
Marriott war enttäuscht. Er hatte diese Narbe sehen wollen, wollte es immer noch. Mit zitternden Fingern berührte er Judiths Schulter und zog den leichten Stoff von ihrer linken Brust herunter.
Sie hatte keine Narbe.
Er begriff es nicht. Überraschung und Bestürzung mischten sich in seinem Bewußtsein zu einem Chaos – und wieder diese unerklärliche Angst. Er beugte sich mit einem Ruck über Judith, und sie mußte einen Kuß erwartet haben, denn sie streckte sich ihm verlangend entgegen. Er fuhr zurück, verließ das Bett und ging rückwärts zur Tür.
»Ich bin furchtbar müde«, hörte er sich sagen. »Ich lege mich schlafen. Gute Nacht, Liebling.«
Er war bei der Tür, sah nicht die Brücke vor der Schwelle, stolperte und fiel hart.
Paul Marriott, 31 Jahre alt, schlug die Augen auf. Er lag mit dem Gesicht nach unten mitten auf der Türschwelle des Schlafzimmers am oberen Ende des Treppenhauses. Die Luft war frostig kalt, und die Kälte steckte in seinem Morgenrock und seinem Pyjama. Sein Körper kam ihm vor wie aus Eis.
Als er sich aufrichtete, mußte er feststellen, daß es schon heller Tag war.
War ich dann die ganze Nacht über … hier?
Er erinnerte sich an seinen Traum, als er endlich wieder fest auf den Füßen stand und einen scheuen Blick in das leere, vollkommen unmöblierte Zimmer warf. Langsam ging er die Treppenstufen hinunter. Die Bilder aus seinem Traum wurden klarer. Immer neue Einzelheiten schälten sich aus dem Dunkel. Marriott schüttelte sich.
Warum wollte ich unbedingt sehen, ob sie eine Narbe über dem Herzen hatte?
Ein weiterer Schreck fuhr ihm in die Glieder, als er, unten angekommen, die Wohnzimmertür offen fand.
Aber er sah, daß der Raum leer war – leer und verlassen. Das erleichterte ihn, und er blieb stehen, um sich diesen Anblick einzuprägen, bis ihn die Kälte in die Küche trieb, wo er hastig das Feuer im Ofen entzündete und seine Hände über der Platte wärmte. Ein Blick durch das Fenster sorgte für die nächste Überraschung. Es hatte in der Nacht geschneit.
In Mary’s Frühstücksstube wich er den Blicken der anderen Gäste aus und redete mit der Bedienung nur das Notwendigste. Die Gedanken an seinen Traum ließen ihn nicht los. Was bedeutete er für ihn? Er erinnerte sich daran, daß der ältere Mann davon überzeugt gewesen war, etwas Bestimmtes tun, einen Zweck erfüllen zu müssen. Es mußte ihm gelungen sein, vollendet zu haben,
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