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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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festgelegte Resistenz gegen die Reblaus bei den europäischen Reben fehlt, fraß sich die Reblaus durch ganz Europa und brachte den Weinbau in vielen Regionen zum Erliegen. Nur in sehr wenigen Weinbergen, wie etwa in den humusarmen, steinigen Terrassenlagen an der Mosel, war und ist es der Reblaus zu ungemütlich. Ansonsten ist heute ganz Europa mehr oder weniger reblausverseucht. Und es gibt in allen Regionen Deutschlands immer noch den Mann mit dem schönen Titel Reblauskommissar, der die Verbreitung dieses ganz und gar nicht possierlichen kleinen Nagers überwacht.
    Die europäischen Winzer sind heilfroh, dass ihre Ururgroßväter und -mütter vor hundertfünfzig Jahren nicht damit begannen, Traubenkerne in die Erde zu stecken und auf eine Mutation zu spekulieren, die bei der Reblaus nicht auf dem Speiseplan steht. Sie kamen zum Glück auf die Idee, europäische Kulturreben auf die reblausresistenten amerikanischen Wildreben aufzupfropfen. Da sich die Reblaus nur über die Wurzeln hermacht und die oberirdischen Teile der Pflanze verschmäht, konnten durch diesen Trick Hunderte traditioneller Rebsorten gerettet werden und konnte damit die unglaubliche Geschmackvielfalt der europäischen Weine überleben.
    Leider sind in dieser Zeit viele Weinberge auf der Strecke geblieben. Tausende von Hektar terrassierter Weinberge zum Beispiel an den steilen Hängen der Costa Brava wurden „nach der Reblaus“ nicht wieder neu bepflanzt, da das Geld für die Investition fehlte und gleichzeitig Arbeitsplätze in der Industrie angeboten wurden. Und viele Winzer waren längst nach Amerika ausgewandert. Ausnahmenbestätigen die Regel: Heute reift im Hinterland der Costa Brava einer der spannendsten Rotweine Spaniens. Der junge Jaime Serra hat nach seinem Studium einige Jahre auf Pétrus gearbeitet und sich inspirieren lassen. In dem kleinen Cantallops in der Nähe von Figueres erntet er auf zweihundertfünfzig Meter über dem Meeresspiegel heute einen Rotwein mit dem Namen Gneis, was auf Spanisch die gleiche Bedeutung hat wie auf Deutsch. Dieser Wein passt mit seiner animierenden Kühle überhaupt nicht in das Klischee vom heißen Süden und hebt sich mit seiner mineralischen Individualität positiv von den vielen aalglatten neumodischen Weinen Spaniens ab.
    Eine andere Region scheint sich seit einigen Jahren vom Schock der Reblaus komplett zu erholen. In einem der schönsten und mit fast siebzigtausend Hektar größten terrassierten Weinbaugebiet der Welt, dem portugiesischen Douro-Tal, wird seit einigen Jahren gerodet und gepflanzt, dass einem Tränen der Freude in die Augen treten. Am Douro entlang und auch an all seinen vielen Nebenflüssen erstrecken sich Tausende kleiner Terrassen, die an den Bergen auf bis zu fünfhundert Meter Höhe hinaufklettern und durch ihren sanften Schwung die Landschaft mit der Anmut balinesischer Reisterrassen verzaubern. Dynamische Erzeuger wie Dirk van der Niepoort zeigen der Weinwelt nun schon seit einigen Jahren, was neben dem traditionellen Portwein an herausragenden Qualitäten auf den fruchtbaren Schieferböden reifen kann. Viele junge Erzeuger haben sich von den Visionen Dirks anstecken lassen. Auch wenn sie dem Boygroup-Alter langsam entwachsen sind, mischen sie als Douro-Boys ihr verschlafenes Tal gehörig auf. Und die internationale Weinszene gleichermaßen. Auch die deutschen Spitzenwinzer Werner Näkel, Bernd Philippi und der inzwischen verstorbene Bernhard Breuer haben sich im Douro-Tal engagiert. Der Name ihres fantastischen Weins: Campo Ardosa, ein Feld voller Schiefer.
    Über die Jahrtausende haben sich die Weinberge kontinuierlich verändert und der gesellschaftlichen Entwicklung angepasst. Trotzdem lassen sich heute immer noch zwei unterschiedliche Archetypen des Weinbergs beschreiben. Einmal der schon im Altertum bekannte „Weingarten“, der mit einem Steinwall oder mit einer Mauer befriedet ist. Auch wenn es kaum mehr frei umherstreunende Ziegen gibt und es für den nächtlichen Traubendieb ein Leichtes ist, über die Mauer zu springen und in den Weinberg einzudringen: Wenn wir im Herzen Burgunds stehen und einen gepflegten, ummauerten Weinberg sehen, geht uns das Herz auf. So sieht ein richtiger Weingarten aus! Und wenn die Reben dann so schön grün in Reih und Glied stehen und die Erde frisch gepflügt ist. Das ist Geborgenheit, Schutz, Fruchtbarkeit.
    Der zweite Archetyp eines Weinbergs sind die „hängenden Gärten“, die Terrassen. Das sind im wahrsten Sinn des Wortes

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