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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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im Keller, jeder Winzer hat die Qual der Wahl. Nicht nur mit welcher Hardware er produzieren will, sondern auch was. Ob billig, teuer, designt, ökologisch, nüchtern-wissenschaftlich oder esoterisch-religiös. Die gleichen Fragen stellen sich auf der Verbraucherseite. Was ist ein guter Wein? „Hauptsache, er schmeckt.Und so lange ich mich nicht vergiftet, ist es mir doch völlig egal, wie er gemacht wird.“ Auch diese Haltung besonders cooler Zeitgenossen existiert. Aber sie ist in der Minderheit. Das Psychogen mit der Information „Wein ist etwas Besonderes“ wurde bislang auch in der modernen Industriegesellschaft nicht ausgemendelt. Im Gegenteil. Je hochwertiger die Weine und je bildungsbürgerlicher das Publikum, umso mehr wird diskutiert. Zum Beispiel über das beste Gefäß der Vinifikation. Edelstahl oder Holz? Ist ein Plastiktank tolerierbar? Kann es auch Beton sein? Und wenn, wie sollten Betontanks innen beschaffen sein und welche Form sollten sie haben, eckig oder besser rund wie ein Ei? Oder Amphoren? Sie sind momentan absolut en vogue. Eingegraben in der Erde, garantieren sie durch ihre Spitze nach unten einen größeren Einfluss von terrestrischem Elektromagnetismus beziehungsweise ein besseres Inkorporieren kosmischer Kräfte. Oder soll der Einfluss von Sonnenenergie optimiert werden? Dann bitte eine Vinifikation in Holzfässern, wobei deren Länge mit abnehmendem Breitengrad zunehmen sollte.
    Manche Diskussionen haben den Charakter einer Zeitreise. Haben sich nicht doch vielleicht schon die Priester und Ingenieure in ägyptischen Tempelanlagen über diese Fragen in den Haaren gelegen?
    Eine typische Projektion des modernen Menschen in die Vergangenheit spiegelt die These, früher sei der Wein noch in Ordnung gewesen. Früher lebten die Menschen noch im Einklang mit der Natur, früher war Wein noch ein Naturprodukt. Und dann kam mit dem Ende der Bronzezeit das eiserne Rebmesser, und die Elfen flohen aus dem Weinberg; die Menschheit wurde immer egoistischer, bis dann der Wein mit der Industrialisierung vollends seine Unschuld verlor.
    Die historische Weinwahrheit ist eine andere. So heilig wie er früher auf der einen Seite auch war, so wurde auf der anderen Seite gepanscht, gelogen und Schindluder getrieben. Wein war eben nichtnur ein Kulturgut, sondern auch eine Handelware, mit der Geld verdient werden sollte. Was jeweils als Panschen angesehen wurde und was als eine kulturell sanktionierte Vinifikationsvariante, das war – genauso wie heute – abhängig vom jeweiligen Zeitgeist. Ein gutes Beispiel ist der Schwefel. Er wurde schon von den Römern zur Konservierung von Wein benutzt und ist auch heute noch internationaler Standard. Im Mittelalter war er allerdings zeitweise strikt verboten. Warum? Weil er so stinkt wie der Teufel. Und den wollte das christliche Mittelalter ja nun weiß Gott nicht im Wein haben. Indirekt hängt diese Story dem Wein auch heute noch an, obwohl das leidige Thema mit dem Kopfschmerz medizinisch völlig geklärt ist. Einen eindeutigen Zusammenhang gibt es allerdings zwischen Alkohol und Kopfschmerz. Und auch biogene Amine wie zum Beispiel das bei der Gärung entstehende Histamin machen Druck in der Birne. Aber einen Zusammenhang zwischen Schwefel und Kopfschmerz gibt es medizinisch nicht. Schulmedizinisch nicht, um politically correct zu bleiben. Denn natürlich können die Sulfidmoleküle in speziellen energetischen Zuständen wer weiß was anrichten, so man denn dieses Weltbild teilt. Medizinisch jedenfalls wird der Schwefel im Wein über ein Enzym namens Sulfidoxidase zu Sulfat oxidiert und mit dem Urin ausgeschieden. Und eine vermehrte Sulfidoxidasenproduktion konnte bislang selbst bei arrivierten Profisäufern nicht nachgewiesen werden – kein Wunder, hat der Körper doch zum Beispiel nach dem Verzehr eines Schweineschnitzels zehnmal mehr Schwefel zu entsorgen, als normalerweise in einer Flasche Wein enthalten ist.
    Natürlich lässt sich trefflich darüber diskutieren, ob ein Wein mit etwas mehr oder weniger Schwefel besser schmeckt. Und geradezu ein Muss ist es, darüber nachzudenken, wie in der Vinifikation Schwefel eingespart werden kann. Schließlich wird dem Wein etwas zugefügt, was wir in unserer westlichen Weinkultur, wenn schon nicht ausgesundheitlichen, so doch aus kulturellen Gründen ablehnen. Aber ohne Schwefelzusatz verläuft die Entwicklung eines Weins stark vereinfacht wie folgt: Hefen vergären den Traubensaft zu Wein. Als Nächstes vergären

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