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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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Milchsäurebakterien die Äpfelsäure zu Milchsäure. Und dann verwandeln Essigbakterien den Wein zu Essig. So ist er meist längere Zeit mikrobiell stabil, bis sich dann andere Bakterien über ihn hermachen und ihn in ein undefinierbares Gebräu verwandeln. (Über begnadete Winzer, denen es gelingt, ohne Zusatz von Schwefel wohlschmeckende und haltbare Weine zu vinifizieren, wird später noch berichtet.)
    Trotz Schwefels war die Haltbarkeit des Weins bis vor hundert Jahren ein riesengroßes Problem, da sich bei normaler Konzentration noch lange nicht jede Mikrobe davon beeindrucken ließ und die Filtrationstechnik gerade erst in den Anfängen begriffen war. Weine aus kühlen Regionen wie Rhein, Mosel und Loire hatten in dieser Zeit einen großen Vorteil. Dank ihrer kräftigeren Säure waren sie weit weniger bakteriell belastet und konnten im kühlen Keller tatsächlich über Jahrzehnte im Holzfass lagern. Kein Wunder, dass sie ob ihrer antibakteriellen Wirkung immer gern auch als Medizin verwendet wurden – bei ja durchaus angenehmen Nebenwirkungen. Demgegenüber waren viele Weine aus heißen respektive oft säurearmen Regionen, insbesondere wenn sie als Handelsware in entfernte Regionen transportiert werden mussten, aus heutiger Sicht mikrobiell verdorben. Und so schmeckten sie denn auch. Daher wurden sie gern aufgepäppelt. Mit Honig, Äpfeln, Salbei, mit Zimt und Muskatnüssen und vielen anderen Reagenzien. Die Rezepturen des Mittelalters zur „Verbesserung“ des Weins haben einen geradezu alchemistischen Charme. Diesem zweifelhaften Genuss begegnet man heute nur noch selten. Ab und zu als Gewürzwein oder als Glühwein zwischen Bratwurst und Oh du fröhliche auf Weihnachtsmärkten.
    Ende des 17 . Jahrhunderts hatten, so erzählt es zumindest die Legende, englische Händler während einer Einkaufstour durch Portugal die Idee, Wein durch Zugabe von Alkohol haltbar zu machen. Fortification heißt das so treffend im Englischen und in den romanischen Sprachen. Es hat funktioniert. Ab einem Prozentsatz von siebzehn Volumenprozent verabschieden sich Hefen und Bakterien torkelnd in die ewigen Mikrobengründe. Der erste wirklich haltbare Wein mit Restsüße war geboren. Seit dem Altertum träumte die Menschheit ja vom süßen Wein. Schon Homer berichtet zur Süßweinproduktion von Trauben, die „auf ebenem Raume gebreitet, dörren am Sonnenstrahl“. Die Römer kochten Traubensaft ein oder vergruben ihn im kalten Flussbett, um ihn dann beim abendlichen Gelage mit durchgegorenem Wein zu vermischten. Oder es wurde mit Honig oder einer chemischen Verbindung namens Bleiglanz (allerdings ziemlich giftig) nachgeholfen. Aber immer blieb das Pro-blem der Haltbarkeit. Nun endlich war das passé. Und die Ausfuhr gespriteter Weine von Portugal nach England begann ganz schön zu brummen. Der Schädel natürlich auch, spätestens wenn man eine Flasche intus hatte.
    Vielleicht lag es auch an den hohen Alkoholpreisen. Abgesehen von Port, Sherry und den Rutherglen Muscats haben diese Weine jedenfalls nie eine größere Bedeutung erlangt, und außerhalb des englischen Markts schon gar nicht. Wobei sie es alle verdient hätten. Die subtile Finesse von guten Portweinen – was für ein verführerisches Lächeln des Schiefers. Die unglaublichen Sherrys – Waisenkinder auf dem Weltmarkt. Dabei haben sie ein schier unendliches Geschmacksspektrum vom staubtrockenen Fino bis zum ultrasüßen Pedro Ximénez, dann Salz, Öl, Mineral, Röstaromen. Es ist eine Schande, dass diese Weine in der Weinszene so wenig Beachtung finden. Gleiches gilt für die fortified wines aus Rutherglen in Victoria,Australien. Sie können für sich das Prädikat „traditioneller Wein“ mit gutem Recht in Anspruch nehmen. Bis Ende der 70 er-Jahre, also bis zu der Entscheidung, moderne Weine für den Weltmarkt zu produzieren, stellten sie achtzig Prozent der australischen Weinproduktion. Heutzutage werden sie leider meist mit viel zu viel neuem Holz für den amerikanischen Markt produziert. Aber wer noch irgendwo einen echten, old fashioned Muskat von Campbells, Chambers, Morris oder Stanton & Killeen ergattern kann: Unbedingt kaufen! Konzentriert, dick, mit wilden Aromen von Tee bis Lebertran, unglaublich!
    Zu den wirklichen Revolutionen des Weinbaus kam es im 19. und 20 . Jahrhundert, dem Zeitalter der Industrialisierung. Mit der mehr oder weniger protestantischen Ideologie des Bürgertums distanzierte man sich von den alchemistischen Rezepten des Mittelalters

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