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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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Ich-bin-kreativ-und-kann-was-Rausch einfach ein tolles Gefühl.
    Aufschwingt sich das Herz ins Gezweig,
der Wind bewegt den Tag,
und nichts bleibt
im Innern deiner unbeweglichen Seele.
Der Wein bringt den Frühling in Wallung,
gleich einer Pflanze
aufwächst die Freude,
Mauern stürzen,
mächtige Felsen,
die Abgründe schließen sich,
und es erblüht das Lied.
    Wenige haben die Stimmungen des Weins so schön in Worte gefasst wie der chilenische Poet Pablo Neruda in seiner Ode an den Wein aus dem Jahre 1954 . Auch die nächste Genussstufe im Leben mit Wein:
    Schneckenhaft gewunden
und aufgelöst,
liebeatmender,
meerischer Wein,
nie hattest du Raum in einem Glase genug,
in einem Lied, in einem Menschen, …
Freundschaft auch der Menschenwesen, Transparenz, …
von Blüten ein Überschwang.
    Der Was-ist-das-Leben-so-schön-Rausch. Aufgelöst, liebeatmend, meerisch … Es ist der Rausch des Enthaltenseins, des Geborgenseins ohne Ich-Verlust, es ist der Rausch des Erwachsenen. Was für ein Gefühl, im Freundeskreis, bei gutem Essen und einer guten Flasche Wein versöhnt zu sein und eins mit der Welt!
    Das ist – Theologen aller Religionen und unterdrückter Sekten, verzeiht die Häresie – die Hochmystik des Weins. „Die wahre Frucht erreicht man nicht durch Begreifen, sondern durch Ergriffensein“, sagte der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux.

6
I CH WEISS EIN SCHÖNES S PIEL IM DUNKLEN TAL, IM M USCHELGRUND
    François Villon
    Der Jahrgang 6538 vor Christus war mengenmäßig ganz herausragend. Trauben satt. Sogar die Kinder hatten keine Lust mehr, die vielen Trauben, die sie am Nachmittag gepflückt hatten, zu essen. Sie spielten mit ihnen und zermatschten sie vor dem Zubettgehen in der Tonschale, die ihre Eltern gerade von der Tante Ninurta gegen ein wenig Gerste eingetauscht hatten. Bei Sonnenaufgang räkelten sich Enlil und Ninsun und erhoben sich von ihrer Matte. Hocherfreut über den Konsumverzicht ihrer Brut griffen sie nach der Tonschale und mischten die übrig gebliebenen Trauben zum Süßen unter ihr Müsli. Es schmeckte fantastisch! Schnell sahen sie noch nach, ob mit ihrer Ziege auch alles in Ordnung war, und machten sich auf den Weg, dem Unkraut im Gerstenfeld zu Leibe zu rücken. Plötzlich wurde ihnen seltsam blümerant. Die Erde unter ihnen schien sich ein wenig zu drehen, und sie hörten Stimmen von Göttern, die sonst noch nie zu ihnen gesprochen hatten. Mensch, sieh nur diese Schenkel, sagte eine Stimme, und wow, was für tolle Augen, sagte eine andere. Und lustig waren sie, die Götter, richtig gut drauf. Sagten, was ist der Tag doch so schön. Und ist das wirklich so wichtig, das Unkraut? Unten am kühlen Bach, da ist doch so eine schöne, so eine richtig gemütliche Wiese.
    Und sie folgten dem Rat der Götter und hörten das Lied der mesopotamischen Hofpoetin Ilummiya:
    M ein krauses Haar
ist die Kresse ist die krause Kresse
in ihrem Beet der Beine –
er wird sie mir wässern
und den Dubdub
den Vogel der aus der Furche der
Erde mit dem Schnabel schaut
ihn wird er mir streicheln
    Lass ihn nur kommen
die Kresse ist nirgendwo grüner
ich werde ihm Blicke zuwerfen
und allein mit ihm
werde ich durch dieses Feld gehen
und die Lust werd ich ihm zeigen
Shu-Suen – dass ich seiner
und er meiner nie müde wird
    Mein Augapfel bist du
und du bist auch mein Herzschlag.
    Vielen Dank, Raoul Schrott, für die wunderbaren Übersetzungen.

7
D IE I NDUSTRIALISIERUNG IST DIE ZIVILISATORISCHE M ISSION DES K APITALS
    Karl Marx
    „Die Nacht kommt, die Traube ist schwer vom Tau. Lasst sie uns austreten und zu unserem Herrn bringen“, so die Inschrift auf dem Grab des ägyptischen Poeten Petosiris unter einer Darstellung von Winzern und Weinlauben um 300 vor Christus. Auch die vierhundert Jahre früher verfassten Verse des griechischen Dichters Archilochos klingen nach einer eher rustikalen Kellertechnik:
    Nimm den Krug, geh zum Heck der Galeere und zieh den Deckel vom Fassbauch, schöpf den Wein von der Hefe, die sich unten ansammelt.
    Es ist daher aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, dass es im Altertum über die Fragen der Keltertechnik zu ideologischen Grabenkämpfen verschiedener Produzenten oder Priesterfraktionen gekommen ist. Wir gehen davon aus, dass die jeweils vorhandenen technischen Hilfsmittel auch eingesetzt wurden, wenn man glaubte, hierdurch Geschmack und Haltbarkeit des Weins zu optimieren. Und so richtig viele Alternativen hat es ja nicht gegeben. Das ist heute anders. Ob im Weinberg oder

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