Terroir
Arnoldi für die Mosel. Er kannte sich aus. Kam er doch aus Winningen, dem Dorf mit der heute noch größten Fläche terrassierter Steillagen in Deutschland, in dem aber gleichzeitig eine große Kellerei ansässig war, die sich auf den Vertrieb von billigen, gallisierten Weinen aus Flachlagen spezialisiert hatte.
In Anlehnung an Kants Diktum, dass „vollkommene Kunst wieder Natur wird“, schreibt Dr. Arnoldi: „Kunst und Natur stehen sich keineswegs so schroff gegenüber …, vielmehr müssen sich beide zur Erzeugung eines wahrhaft edlen Weines vereinigen: Sie müssen in-einander übergehen“ – und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Diskussion des Begriffs Terroir.
„Wein ist ein kostbares Kulturgut“, „Der Staat muss helfen“, „Es lebe der technische Fortschritt“: Diese in der Mitte des 19 . Jahrhunderts entwickelten Aspekte prägen die Diskussionen der Weinszene bis heute. Und im übertragenen Sinne auch viele andere Bereiche unserer Gesellschaft.
Nach den für viele Winzer goldenen Jahren der Belle Époque und der großen Zäsur durch Weltkriege und Wirtschaftkrise ging als Folge einer rasant fortschreitenden Entwicklung von Wissenschaft und Technik in den 60 er-Jahren die Post ab. Das Zauberwort hieß Wirtschaftswunder, hieß Produktivität. Innerhalb kürzester Zeit wurden die Erträge durch Kunstdünger und neue Spritzmittel mehr als verdoppelt, während gleichzeitig durch Traktor und chemische Unkrautbekämpfung die Kosten für die Arbeit halbiert wurden, ganz besonders in den nun neu angelegten flachen und flurbereinigten Wein feldern .
Und die Weine wurden billiger und billiger. Die in Deutschland noch bis in die 50 er-Jahre geltende Regel, nach der der Preis einer guten Flasche Wein dem Stundenlohn eines Facharbeiters entspreche, löste sich bei Flaschenpreisen von ein paar Mark in Luft auf. Heute liegt der Durchschnittspreis der in Deutschland verkauften Flaschen bei weniger als zwei Euro fünfzig und nur fünf Prozent der Weine kommen auf mehr als fünf Euro. In Frankreich und Italien ist es ähnlich. Mit Ausnahme weniger Spitzenlagen entwickelten sich die Preise für die Weinberge parallel. Kostete ein Quadratmeter in einer guten Steillage der Mosel gegen Ende des 19 . Jahrhunderts das Äquivalent von drei bis vier Tagen Arbeit eines Facharbeiters, so war er Ende der 70 er-Jahre des 20 . Jahrhunderts innerhalb von zwanzig Minuten verdient. Wenn überhaupt. Denn im industriellen Boom der Wirtschaftswunderjahre lag so manche Steillage brach. Die Industrie versprach höhere Stundenlöhne. Der Mittelrhein zwischen Rüdesheim und Bonn zum Beispiel verlor siebzig Prozent seiner Anbaufläche. Und auch die Winzer aus Condrieu an der Rhône ließen ihre Terrassen brachliegen und verdienten ihr Geld leichter gegenüber in der Fabrik bei Rhône Poulenc. Und ob in der Toskana oder in den Pyrenäen: Was die Reblaus nicht schaffte …
Volkswirtschaftlich machte das erst mal nichts, denn die produzierte Weinmenge stieg und wurde bei weltweit steigender Nachfrage auch verkauft. Frankreich war in dieser Zeit nicht nur der größte Weinexporteur, sondern auch der weltweit größte Weinimporteur. Hauptsächlich Weine aus Algerien und Italien wurden importiert und erfuhren in den heiligen Hallen des St. Pancho (beliebter Schutzheiliger) ihre Wandlung. Der Weinbedarf war riesig. Frankreich war in dieser Zeit auch Weltmeister im Pro-Kopf-Verbrauch – einhundertfünfzig Liter im Jahr! Das war recht ordentlich und erklärt, warum die Briefträger, die zumindest auf dem Land traditionell bei jedem zugestellten Brief zu einem Schöppchen eingeladen wurden, zu der Berufsgruppe mit der geringsten Lebenserwartung gehörten. Was nicht selbst getrunken wurde, ging in den Export. Hier war Frankreich führend mit den Roten und Deutschland mit den Weißen. Klingende Namen auf den Weltmärkten des 20 . Jahrhunderts wie Rhein, Mosel, Johannisberger etcetera wurden allerdings langsam, aber konsequent durch Liebfraumilch ersetzt. Und die war nicht nur billig, sondern auch süß. Endlich war es nämlich so weit. Moderne Filtertechniken und Dosagegeräte für Schwefel ermöglichten die Massenproduktion von süßen Weinen. Die extrem rare edelsüße Spätlese und Auslese, das Kultgetränk der Belle Époque, entwickelte sich zur pappsüßen Ramschware.
Warum eigentlich, wo das deutsche Bier nicht männlich herb genug sein konnte? Süßigkeitsdefizit der Kriegsgeneration? Das hatten die Biertrinker doch
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