Terroir
realisierbar ist. Oder, um in der Toskana zu bleiben, wenn von den produzierten einhundert Millionen Flaschen fünfundzwanzig Millionen nach Deutschland verkauft werden und der Discounter Aldi als einer der größten Abnehmer partout eine Flasche Chianti für einen Euro neunundneunzig verkaufen will, obwohl sie im Einkauf weit über zwei Euro kostet. Was tun? „Die Deutschen schrecken nicht davor zurück, Chianti zu einem Preis zu kaufen, für dessen Zustandekommen Betrug vermutet werden muss“, sagt Herr Bianchi, frustrierter Direktor eines großen toskanischen Konsortiums von Kellereigenossenschaften. Und so kommt es dann zu der einen oder anderen „Unregelmäßigkeit“ beim Ausstellen von Frachtpapieren, und so manche nächtliche Kolonne von mit billigem Tafelwein gefüllten Tanklastzügen aus Süditalien mutiert zu Chianti-Transporten. Diesen Weg scheint, wie Insider berichten, in den letzten Jahren auch so mancher Liter spanischen und argentinischen Rotweins gegangen zu sein.
Alle paar Jahre fliegt so etwas auf, hie und da wird jemand verhaftet und auch mal verurteilt. Einfach unangenehm. Und dann die Schlagzeilen. Wer heute gescheit ist, gründet Marken, die frei sind von all dem historischen Ballast, der ein globales Handeln doch nur behindert.
Selbst ein Marketing, das an die Projektionen in ein fernes Land anknüpft, kann ins Auge gehen. Was hatte der Wein aus Südafrika für einen Stress, die Apartheid abzuschütteln. Heute läuft er unter „Sehnsucht nach wildem und schönem Afrika“. Und auch weil der Rand so billig ist, läuft das Geschäft super. Nur, was passiert nach wilden Streiks in den Goldminen, bei brennenden Slums und brutalem Militär in der Tagesschau? Und dann vielleicht noch ein Militärputsch. Ende der Erfolgsstory, mit so was mag sich niemand identifizieren. Oder ein Wein aus einem bis vor Kurzem weinbaulich höchstsubventionierten und boomenden Land, aus Australien. Was nutzt das romantischste Känguru-Image und geheimnisvollste Aborigines-Logo, wenn das Wasser knapp wird, Weinbergsböden versalzen, Subventionen eingestellt werden? Und das Schlimmste: Der Geschmack „Australien“ ist zumindest im höherpreisigen Segment mit „viel Alkohol und Eiche“ konnotiert. Und der ist in Europa momentan nicht mehr angesagt. Australien hatte in den letzten zwanzig Jahren geboomt ohne Ende. Aus der Traum. Jährliche Umsatzeinbrüche in Europa von bis zu vierzig Prozent. Das Resultat: Das australische Informationsbüro für Wein in Frankfurt wurde geschlossen, ebenfalls das für ganz Europa zuständige Büro in London. Nur in Asien und in den USA hat der australische Wein noch nennenswerte Marktanteile. Und dass man sich in den USA momentan noch nicht viel mehr als ein paar blaue Augen holt, liegt an den unglaublichen Discounterumsätzen von Jacob’s Creek, dem zum Imperium von Pernod Ricard gehörenden australischen Pendant zur deutschen Liebfraumilch.
Nachdem sein Börsenwert erheblich gefallen ist, zieht der australische Bier- und Weingigant Foster’s die Notbremse. Die erst 2005 für 3 , 7 Milliarden australische Dollar eingekaufte australische Southcorp soll abgestoßen werden. Und wo man gerade dabei ist und als Konzern die Nase sowieso voll hat vom Weingeschäft, sucht man auch für das im Jahr 2000 für 2 , 9 Milliarden australische Dollar gekaufte kalifornische Unternehmen Behringer einen Abnehmer. Die Firma Coca-Cola hatte sich schon vor Jahren mit der Begründung aus dem Weinbusiness zurückgezogen, die angestrebte Eigenkapitalverzinsung von mindestens zehn Prozent nicht realisieren zu können. Es sieht so aus, als würde es noch einige Zeit dauern, bis die Monopolisierung der Weinwelt so weit fortgeschritten ist, dass nicht nur die Umsätze, sondern auch die Gewinne stimmen. Hier hat die Softdrink- und Bierindustrie einen Vorsprung von einigen Jahrzehnten.
Zu den Zukunftsmodellen gehört ein Wein mit dem schönen Namen La Cuvée Mythique. Hier stimmt einfach alles. Der Name passt in den Zeitgeist und klingt positiv-französisch, ohne dass der Wein unbedingt aus Frankreich kommen müsste. Die Liebe und Weisheit symbolisierende Eule der griechischen Göttin Athene prangt auf einem geschmackvollen, orangebraunen Etikett mit nobler Serifenschrift, und die schicke Bordeaux-Flasche sieht einfach klasse aus. Fast zu hochwertig für den Preis, der in englischen Supermärkten mit drei Pfund neunundvierzig auf dem gleichen Niveau wie die Edelausgaben von Liebfraumilch oder wie ein
Weitere Kostenlose Bücher