Terroir
Lesegut nicht mehr richtig gären wollten, gab es Stress, und die Biotechfirmen machten sich in Windeseile daran, auch der Weinwirtschaft gärkräftige Hefen zu liefern. Aus gut schmeckenden Jungweinen, die kräftig am Gären waren, wurden Hefen selektioniert, vermehrt und mit neuartigen Verfahren des einfachen Transports und der längeren Haltbarkeit wegen dehydriert. Die erste Reinzuchthefe war geboren. Verstoß gegen das Weingesetz? Nein. Denn dem Wein wird ja nichts Fremdes zugegeben. Verstoß gegen die Moral des Weins? Ansichtssache.
Nun können sich in einem Wein zwanzig, dreißig verschiedene Hefen ganz unterschiedlicher Stämme tummeln. Manche arbeiten bis zu einem Alkoholgehalt von fünf bis sechs Prozent, sterben dann ab und geben ihre Zellinhaltsstoffe als Nahrung an ihre Cousins und Cousinen weiter, die sich mit höheren Alkoholkonzentrationen besser auskennen und nüchtern genug bleiben, auch den verbleibenden Zucker umzusetzen. Jede Hefe produziert neben normalem Äthanol eine Vielzahl unterschiedlicher Alkohole und anderer, zum Teil hocharomatischer Stoffwechselprodukte. Je nach geplantem Geschmack ist es für Fooddesigner daher sinnvoll, unterschiedliche Hefen zu selektionieren. Ein anderes Selektionskriterium sind Schwefel und Histamin. Wenn eine wilde Hefe pro Liter bis zu fünfzig MilligrammSchwefel produziert und darüber hinaus die gleiche Menge Schwefelbindungspartner, kann es vorkommen, dass der Wein bis zur Flaschenfüllung eine so hohe Dosage von konservierend wirkendem Schwefel benötigt, dass die dann vorhandene Gesamtmenge über dem gesetzlichen Limit liegt. Und seit auch das Histamin als potenzieller Auslöser von Allergien immer mehr im Fokus gesetzlicher Verordnungen steht, arbeitet die Industrie auch an dieser Baustelle.
Bis auf ganz wenige Weingüter hat sich der Einsatz der sogenannten Reinzuchthefen weltweit durchgesetzt – egal ob konventionell oder ökologisch gewirtschaftet wird. Kritisiert werden diese Hefen daher nur selten. Der Einwurf aus kultureller Perspektive, das sei ein Eingriff in die natürliche Vinifikation mit dem Effekt der geschmacklichen Gleichmacherei, wird von den europäischen Hefeproduzenten und ihren Apologeten an den Unis als völliger Quatsch zurückgewiesen. Schließlich gebe es mittlerweile so viele verschiedene Hefen zu kaufen, dass für jeden Geschmack etwas dabei sei.
Das sieht Frau Professor Eveline Bartowski von der Universität in Adelaide anders. Darf sie ja auch, denn in Australien ist der Eingriff in den genetischen Code längst nicht so negativ besetzt wie in Europa. Und weil viele Australier den Geschmack der in Deutschland mit wilden Hefen vergorenen Rieslinge so schätzen, wird den gezüchteten Hefen der Art Saccharomyces cerevisiae durch das Einpflanzen von Zellkernen wilder Hefen anderer Gattungen auf die Sprünge geholfen. Schon seit einigen Jahren laufen Freilandversuche mit weit über hundert Winzern. Und es scheint zu schmecken …
Beispiel Nummer zwei: der Alkohol. Zum mechanistischen Dampfmaschinendenken Europas gehört der Glaubenssatz: Je höher der Alkoholgehalt, desto besser der Wein. Dies reflektiert die Erfahrung, dass die Trauben insbesondere in kalten und nassen Jahren oftmals nicht richtig reif wurden und es den Weinen dann an Alkoholmangelte. Der Zuckergehalt der Traube, der ja mit dem später zu erreichenden Alkoholgehalt korreliert, ist in seiner Messung in Öchslegraden Basis der Qualitätsdefinition des deutschen Weingesetzes. Und auch in allen anderen Ländern Europas gibt es in allen Qualitätsdefinitionen und Appellationsbedingungen Vorschriften für einen Mindestgehalt an Alkohol. Dass ihm mithilfe von zugegebenem Zucker auf die Sprünge geholfen werden kann, wurde schon an anderer Stelle beschrieben. Und dass dies dort, wo es verboten ist, trotzdem immer wieder gemacht wird, liegt auf der Hand. Nun hatte Louis Pasteur schon darauf hingewiesen, dass es auch andere Möglichkeiten der Erhöhung des Zuckergehalts gibt: die Konzentration durch Kälte. Kühlt man Most durch Zugabe von Eis bei kalten Wintertemperaturen weit unter den Nullpunkt – heutzutage natürlich mit elektrischen Kühlaggregaten – gefriert ein Teil des Wassers, so dass die Konzentration von Zucker und Säure in dem noch flüssigen Anteil ansteigt. Dieses Verfahren wurde in den 80 er-Jahren besonders im südfranzösischen Sauternais unter dem Namen cryoextraction angewendet. Es hat allerdings den Nachteil, dass in dem Abfallwasser noch recht
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