Terroir
vorhanden – entsprechenden Benotungen von Robert Parker. Im Zug der jahrelangen Untersuchungen fanden die Forscher heraus, dass es gar nicht nötig ist, die vielen Tausend unterschiedlichen Inhaltsstoffe eines Weins alle genau zu kennen. Zur statistisch abgesicherten Korrelation des Geschmacks mit Parkerpunkten reicht das Quantifizieren von zweiunddreißig Substanzen beim Rotwein und von zweiundfünfzig Sub-stanzen beim Weißwein. Deren Konzentration schon im Trauben-, Most- und Jungweinstadium zu messen und die entsprechenden Vorschläge zu Anbau und Vinifikation zu unterbreiten ist das Geschäftsmodell von Enologix. Statistisch abgesichert steigen die Bewertungen von Parker bei Rotweinen um fünf und bei Weißweinen um sechs Punkte, wobei die Endpunktzahl zu fünfundneunzig Prozent auf plus/minus eineinviertel Punkte vorausgeplant werden kann. Chapeau! Dachte sich auch die Zeitschrift BusinessWeek und ehrte Enologix für die „beste Idee in 2006 “.
Geschmack machen kann jeder. Na ja, sagen wir fast jeder. Aber den richtigen Geschmack zur richtigen Zeit und dann auch noch in der richtigen Verpackung auf dem richtigen Preisniveau. Das ist bei einem so langsamen Produkt wie Wein gar nicht so einfach. Es vergehen einige Jahre, bis von einer neu gepflanzten Rebe Trauben geerntet werden können. Und bis daraus ein Wein entsteht und der beim Kunden ankommt, dauert das selbst bei modernsten Vinifikationsmethoden ein paar Monate. Daher gibt es bei den Meetings der OIV, der Organisation International du Vin, immer wieder Vorschläge, die Vinifikation aus den Weinbauregionen in die Verbraucherzentren zu verlegen. Das könnte dann so aussehen: Man lagert einige hunderttausend Liter stummgeschwefelten Traubensaft in der Kellerei im Industriegebiet im Südwesten Londons. Dann kommt die Bestellung der Supermarktkette Cheap But Good über, sagen wir, achtzigtausend Flaschen Weißwein mit dem Attribut Frühlingswein, das heißt leicht, spritzig, mit einem Aromenspektrum von floral bis grün-apfelig. Und während die weißen Bordeauxflaschen geordert und die coolen Labels designt und gedruckt werden, läuft die Produktion an: Der Traubensaft wird entschwefelt. Säuregehalt und Zucker (damit der spätere Wein nicht zu viel oder zu wenig Alkohol hat) werden „eingestellt“, und die für dieses Aromenspektrum entwickelten Enzyme und Hefen werden untergerührt. Egal ob es sich um ein kontinuierliches System handelt, das heißt einen ewig langen „Schlauch“, der nach dem Prinzip „Auf der einen Seite kommt der Most rein und auf der anderen Seite steht die Verpackungsmaschine“ funktioniert, oder ob ganz altmodisch in einem Hunderttausend-Liter-Tank vergoren wird, nach geschmacklichem Feintuning und Filtration steht das Ergebnis zwei, drei Wochen später im Regal und verspricht Frühlingsgefühle.
Die Weinwirtschaft steckt weltweit mitten in dieser Umbruchphase. Noch klappt längst nicht alles, was sich die Industrie so wünscht. Einen Wein zu festgelegten Produktionskosten in einem klar definierten Aromenspektrum herzustellen ist immer noch nicht garantiert. Obwohl weltweit Universitäten und Forschungsanstalten von der Weinindustrie unter Druck gesetzt werden und an diesem Thema arbeiten, gibt es in den Abgründen der Supermarktregale immer noch zu viele ungenießbare Weine. Um die fünfundzwanzig Prozent verweisen die professionellen Tester normalerweise in die Kategorien jenseits von ausreichend. Nur selten liegt das allerdings anmangelnden kellertechnischen Möglichkeiten. Sie sind da, werden aber nicht eingesetzt. Aus vielerlei strukturellen Gründen und – es ist kaum zu glauben, aber es stimmt – auch aus weinethischen Gründen: Weil viele Hersteller den einen oder anderen Mist einfach nicht wollen, hinkt die Vinifikation dem technischen Fortschritt noch weit hinterher.
Trotzdem können heute viele Weine im Preissegment unter drei Euro unfallfrei getrunken werden. Anders als noch vor dreißig Jahren, als die billigen Roten essigstichig waren und die italienischen Weißen nach drei Minuten im Glas braun und eklig bitter umkippten. Die modernen Billigweine sind mit Sicherheit kein großer Kunstgenuss. Na und? Aber sie öffnen vielen Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nicht mehr Geld ausgeben können oder wollen, eine Tür zum Wein. Das ist eine positive, eine demokratische Errungenschaft der modernen Industriegesellschaft. Solchen Indus-trieweinen naserümpfend die Existenzberechtigung abzusprechen, wo
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