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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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eigenen Gaumen noch ein besseres Urteil als die eigene Verkostung.“ Dochscheint dies niemanden zu interessieren. In der Praxis sind Parkerpunkte das weltweit wichtigste Verkaufsargument. Hieran orientieren sich Produzenten, Händler und Verbraucher. Wenn Herr Parker einen Bordeaux-Jahrgang schlechtredet, gehen die Preise in den Keller – oder sagen wir lieber, sie steigen nicht. Wenn Herr Parker unfiltrierte Rotweine besonders hoch bepunktet, werden Anlagen zum Pasteurisieren von Traubensaft verkauft, die eine mikrobiologisch sichere Vinifikation solcher Weine erlauben. Wenn Herr Parker eine Rebsorte oder Region ignoriert, spielt sie auf dem Weltmarkt eine nur untergeordnete Rolle. Gerade in den USA findet man sehr oft Weinlisten nach dem Schema Weinname – Parkerpunkte – Preis. Auch in Asien. Obwohl sich hier, vielleicht weil sich viele Chinesen von einem Amerikaner nicht mehr so gern was sagen lassen wollen, mit Ch’ng Poh Tiong aus Singapur gerade eine neue Autorität positioniert. Wir werden sehen …
    Der mit Émile Peynaud in den frühen 80 er-Jahren begonnene Trend ging fließend in die Parkerisierung der Weinwelt über. Saftige, volle Weine mit weichen Tanninen sind angesagt. Muttermilchsurrogate, passend zur magengestressten und reizüberfluteten Managerwelt, die für Finesse und dezente Aromatik wenig empfänglich ist. Önologen, auf Neudeutsch flying winemakers , werden engagiert, um parkerkompatible Weine herzustellen. Einer der erfolgreichsten, der Franzose Michel Rolland, berät eine Vielzahl von Produzenten rund um den ganzen Globus. Seit Jahren ist er eine beliebte Projektionsfläche der Weinglobalisierungsgegner. Im Aufklärungsfilm Mondovino wird er nicht im Weinberg bei der Diskussion über optimale Traubenreife gefilmt – was sein ureigenstes Anliegen ist –, sondern mit weißem Kittel und Erlenmeyerkolben, quasi in flagranti beim Panschen ertappt, und im nächsten Schnitt dann mit mafioser Sonnenbrille und Wichtig-Handy im Fonds seines S-Klasse-Mercedes. Mitsensationslüsterner Wackelkamera sieht man den vermeintlichen Dr. Mabuse der Weinwelt, wie er in blitzenden Edelstahlkellern seinen Frankensteineleven mit magischer Geste hyperoxigénation befiehlt, um dann mit quietschenden Reifen das letzte Flugzeug nach Chile zu erreichen.
    Was machen diese Önologen, wie kreiert man Geschmack? Wie kann es sein, dass ein Wein wie die Cuvée Mythique, ein einfacher südfranzösischer Landwein, so schmeckt, dass er dreiundneunzig Parkerpunkte bekommen kann?
    Food-Design lautet der Begriff, mit dem die Innovationen zusammengefasst werden können, die seit den 80 er-Jahren in der Weinwelt für revolutionäre Veränderungen sorgen. Wenn die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Biotechnologie und das Geld und die Interessen der Weinindustrie zusammenfließen … „Geschmack ist machbar“ heißt die Devise. Oder, was die neuen Phänomene vielleicht besser erklärt: Geschmack ist machbar durch geschickte Maßnahmen und Manipulationen, die auf den ersten und manchmal auch auf den zweiten Blick gar nicht als Panschen, sondern als geschicktes Ausnutzen natürlicher Prozesse dargestellt respektive wahrgenommen werden. Und damit normalerweise mit der jeweiligen Weingesetzgebung konform gehen oder zumindest in deren Grauzonen herumdümpeln.
    Beispiel Nummer eins: die Hefen. Es gibt so viele davon in freier Wildbahn, dass ausgepresste Trauben nach einiger Zeit ohne fremdes Zutun zu gären beginnen. Beim Bier ist das nicht so einfach. Schon das Rumpelstilzchen kannte den Trick: „Heute back ich, morgen brau ich …“ – an der Stelle, die noch mit Hefen infiziert ist, wäre hinzuzufügen. Bierbrauen ist nur durch Zugabe von Hefe möglich, wenn man von der berühmten Ausnahme von der Regel absieht, nämlich der Geuze, die mit südlich von Brüssel in freier Wildbahn noch lebenden Brettanomyces bruxellensis vergoren wird. Früher pflegte jede Brauerei ihre Hefemutter, die sich über Mutationen immer weiter veränderte, teilweise über Jahrhunderte. So etwas kann sich eine industrielle Bierproduktion natürlich nicht mehr leisten. Sehr früh haben daher Mikrobiologen begonnen, über Bierhefen zu forschen, verschiedene Stämme zu selektionieren und sie weiter zu vermehren. Die Weinindustrie begann mit solchen Spielereien erst in den 80 er-Jahren. Nachdem neuartige Spritzmittel drauf und dran waren, die gesamte Hefepopulation der Weinberge zu vernichten und vielerorts die Weine selbst bei kerngesundem

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