Terroir
Weinwelt braucht Autoritäten, die Weinwelt braucht Weinpäpste. Auch wenn viele der einflussreichen Journalisten von diesem Wort genervt sind und immer wieder betonen, eben gerade nicht ex cathedra zu sprechen. Das wird ignoriert. Ein Wein wird gekauft und für gut befunden, weil Jancis Robinson oder Michel Bettane ihn entsprechend gelobt haben oder er bei irgendeiner großen Verkostung gut abgeschnitten hat. Das hat im Übrigen auch für die Konsumenten einen recht angenehmen Nebeneffekt. Denn wenn der Wein nicht schmeckt, lässt sich herrlich über die mangelnde Objektivität der Versuchsanordnung, die abartigen Geschmackspapillen oder die Bestechlichkeit von Journalisten lästern. Das geht natürlich auch dann, wenn der Wein zwar schmeckt, der Verkoster ihm aber eine falsche Schulnote ausgestellt hat. Degustatoren wie Armin Diel und Joel Payne betonen immer wieder, dass sie die jährlich anstehenden Kollektionen der vielen Weingüter eben gerade nicht „objektiv“ und „blind“ verkosten, das heißt, ohne zu wissen, was in der Flasche drin ist. „Die Herausgeber des Gault Millau WeinGuide bekennen sich zur Subjektivität ihres Urteils“, schreiben sie im Vorwort. Es wird ignoriert. Schwarz auf weiß im Buch gedruckt – das muss wahr sein. Die Verehrung für den „großen Meister“ ist so stark, dass einfach nicht wahrgenommen wird, was nicht sein darf. Und wenn dann ab und an ein Enthüllungsjournalist den bösen Gurus ihre vermeintlich mangelnde Objektivität um die Ohren haut, wird laut Beifall geklatscht.
Natürlich gab und gibt es viele Journalisten und Institutionen, die ständig das Wort objektiv in den Mund nehmen, aber realiter weniger der seriösen Information als den ökonomischen Interessen ihrer Auftraggeber verpflichtet sind. Aber bitteschön: Warum sollte es denn ausgerechnet in der Weinwelt anders zugehen als in allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft? Fast ließe sich sagen, je öfter das Wort objektiv im Zusammenhang mit Weinproben benutzt wird, umso vorsichtiger gilt es zu sein. Denn was heißt bei einem Kulturgut wie Wein schon objektiv? War Goethe objektiv ein besserer Schriftsteller als Schiller? Bekommt Mozart ein „Sehr gut“, Beethoven aber nur ein „Gut“? Wer bekommt mehr Punkte: der gregorianische Mönchschor oder die Rolling Stones? Maria Callas oder Wencke Myhre? Es ist doch völlig klar, dass bei einer Abstimmung die Wildecker Herzbuben auf dem Siegertreppchen stehen würden (wenn es nicht einkracht) und nicht Herr Prégardien. Und was ist wohl der bessere Käse: Kraft-Scheibletten oder ein Saint-Nectaire?
Die Idee der objektiven Weinbewertung passt in die mechanistische Ideologie des Industriezeitalters. Wie, da gibt es noch etwas, was man nicht wiegen und messen kann? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Verbraucherschützer aller Länder: Ran an die chemische Analyse, ran an das objektive Verkosterschema. Was soll denn das heißen: „einzigartiges Terroir“, „spannende Interpretation des Weinbergs“, „alte Tradition“, „große Winzerpersönlichkeit“? Weg mit diesen feudalen Relikten. Wir leben schließlich in einer Demokratie. Und da hat jeder das Recht auf einen guten Wein. Also, alle Weinflaschen auf den Tisch. Mit Alufolie umwickeln, damit auch keiner sieht, was drin ist. Und nun, meine Damen und Herren staatlich geprüfte Verkoster mit staatlich anerkannten Verkostungsbögen: An die Gläser, plopp und schlürf …
Es bedarf keines abgeschlossenen Studiums der Sozialwissenschaften, um zu wissen, dass das Ergebnis bei halbwegs gut geschulten Verkostern statistisch reproduzierbar und damit in diesem Kontext „objektiv“ ausfällt. Wenn die Verkoster gelernt haben, dass Pfirsichdüfte gut sind und Vanillegeruch abartig, wird sich dies genauso in der Punkteverteilung spiegeln, wie wenn es umgekehrt wäre. Das heißt, wer die Verkoster kennt und weiß, wie sie so drauf sind, kann mit den Bewertungen und Weinbeschreibungen sogar etwas anfangen. Auf diese Art und Weise lesen viele Weinfreaks die Zeitschrift The Wine Advocate . Sie wurde 1978 von dem US-amerikanischen Rechtsanwalt Robert Parker jun. gegründet und hat heute vierzigtausend Abonnenten auf der ganzen Welt. Parker verkostet mit seinem Team mehr oder weniger alles, was in der Weinwelt von Bedeutung ist. Er soll einmal gesagt haben: „Da ist nichts Wissenschaftliches drin, und es sollte auch nicht hineininterpretiert werden.“ Und: „Es kann weder jemals einen Ersatz geben für Ihren
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