Terroir
billiger Kalifornier von Mondavi liegt. Und bei einem geschätzten Einkaufspreis von maximal ein Euro fünfzig stimmt auch die Marge.
Und der Geschmack? „Das Bouquet ist dicht und pflaumig und geht sofort in die Nase, wenn nach dem Entfernen des Naturkorkens die ersten Düfte aus dem Inneren der Flasche aufsteigen. Kenner riechen aus der Dichte der Aromen u.a. Pflaume, Backpflaume, Schwarzkirschen, Holunder und Wacholder heraus. Der Weinkörper ist tiefdunkel mit vereinzelten purpurfarbenen Reflexen“, bloggt es im Internet. Und das Allertollste: Der wichtigste Verkoster der Welt, Mr. Parker jun., gab dem Wein dreiundneunzig Punkte. Dreiundneunzig Punkte für einen billigen südfranzösischen Vin de Pays d’Oc! Solche Noten vergibt Parker normalerweise erstklassigen Châteaus im Bordeaux, Grands Crus aus Burgund und Spitzenweinen aus Deutschland. Bei dreiundneunzig Punkten wird die Weinwelt nervös, und die Umsätze sind garantiert. Dennoch fehlt der Marke Cuvée Mythique etwas: das Öko- und Authentique-Mäntelchen. Denn das haben die Marktforscher als Essential für die nächsten Jahre heraussondiert. Die Werbung für Red Bull – in der Wahrnehmung normaler Sterblicher zweihundert Prozent Chemie – liest sich daher wie folgt: „… einzigartige Komposition an Inhaltsstoffen, allesamt einhundert Prozent natürlicher Herkunft. Außerdem ist es das einzige Cola, das sowohl die original Kolanuss als auch das Cocablatt verwendet. Das Ergebnis ist ein klassischer, nicht zu süßer Cola-Geschmack, der durch die Verwendung der richtigen Pflanzenextrakte zustande kommt. … keine Phosphorsäure, keine Konservierungsstoffe sowie keine künstlichen Farbstoffe und keine künstlichen Aromen.“
Der Werbespot im Fernsehen erzählt, mit Timbre in der sonoren Stimme und von sattem Jazz unterlegt, die Story der 1886 durch John Pemberton erfundenen Originalrezeptur, die bis heute nicht verändert wurde. Von Coca-Cola lernen heißt siegen lernen!
Die Weinwelt ist heterogen, und die Geschmäcker sind im wahrsten Sinn des Wortes verschieden. Von Genuss bis Bölkstoff, von Essensbegleiter bis Meditationswein, von billiger Erfrischung bis organoleptischem Rorschachtest, von Heimatwein über chauvinistische Klammer bis zum demonstrativen Genuss des freien Weltenbürgers. Zwischen chemischer Analyse mit gaschromatografisch analysiertem Aromenspektrum, heiler Welt, Familienfeier und Naturerleben von toller Landschaft, stimmungsvoller Erotik und religiöser Verzückung. Zwischen Gesundheitswahn und Wir-schnallen-den-Gürtel-weiter, pikkolotrinkendem sozialen Aufstieg deutscher Sekretärinnen und champagneresker Demonstration der Zugehörigkeit zur Upperclass. Auf der Suche nach dem geschmacklichen G-Punkt zwischen Tetrapack und Doppelmagnum, zwischen Einsneunundneunzig und vielen Tausenden auf der nach oben offenen Euroskala: Es gibt ihn nicht, den Weintrinker. Es gibt unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen.
Jede neue Generation von Werbesoziologen versucht, die Menschen nach verschiedenen Zielgruppen zu sortieren, damit die Marketingtools ihrer Auftraggeber auch greifen. Das ist leichter gesagt als getan, da sich das Käuferverhalten halt nur rückblickend gesichertbeschreiben lässt, und bis die jeweilige Analyse gemacht ist, werden die Märkte oft schon wieder von ganz anderen Trends durcheinandergewirbelt.
Was das Käuferverhalten seit Jahren nachhaltig beeinflusst, sind Weinempfehlungen. Klar, das Thema Wein ist einfach zu undurchsichtig und kompliziert, nicht nur für Otto Normalverbraucher, sondern viel mehr noch für Markus Möglich. Es ist ja auch unmöglich, alles probiert zu haben, um dann zu entscheiden. Und selbst wenn. Wer kann den Geschmack extrapolieren, wer weiß, wie der gerade verkostete Wein in ein paar Jahren schmeckt? Da muss man schon sehr viele Weine desselben Weinbergs und Winzers getrunken haben. Darüber hinaus sind sehr viele Menschen so verunsichert, dass sie ihrem eigenen Geschmack nicht viel zutrauen. Und andere haben einfach keine Zeit und Lust zum Herumprobieren, weil ihnen der Wein gar nicht so wichtig ist und sie ihn ja doch nur brauchen, um bei ihren Nachbarn zu strunzen oder um ihrem Chef etwas zum Sechzigsten zu schenken. Irgendeine Institution muss doch sagen können, ob der Wein gut ist oder nicht.
Nicht nur für den Kunden, auch für den Verkäufer von Wein ist es viel charmanter, eine neutrale Institution zu bemühen, als den Wein selbst zu loben. Kurzum: Die
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