Terror von Rechts
dieser Pfarrer wirklich?«, fragte die
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Kurz nach der Razzia ließen die sächsischen Behörden den Vorwurf nach Paragraph 129 allerdings wieder fallen, der die Durchsuchung von Königs Räumen erst rechtlich ermöglicht hatte, da eine solche Maßnahme nur bei schweren Straftaten zulässig ist. Kein Einzelfall, viele Anwälte bezeichnen den Paragraph 129 als »Schnüffelparagraphen«, da er oft in Ermittlungsverfahren strapaziert und als rechtlicher Rahmen für Razzien benutzt wird. Die Vorwürfe werden anschließend oft fallengelassen. Dem Pfarrer in Jena wurde aber weiterhin unterstellt, er habe bei den Protesten gegen die Neonazis im Februar 2011 in Dresden aufrührerische Musik über einen Lautsprecher abgespielt. Sein Rechtsanwalt Johannes Eisenberg kommentierte, es sei »gänzlich abwegig«, Steinwürfe könnten durch »anreißerische und rhythmische« Musik untermalt werden, so wie es in der Anklageschrift gegen König behauptet wurde – dies erfülle zudem nicht den Straftatbestand des Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall. Die Tatvorwürfe könnten mit den vorgelegten Beweismitteln gar nicht belegt werden, so Eisenberg. Zudem sei ein Beweisvideo falsch transkribiert und sogar manipuliert worden. »In der Videokompilation ›Beweisvideo 66. Jahrestag der Zerstörung Dresdens, Polizeidirektion Dresden, Sonderkommission 19/2, Julius-Wahlteich-Straße 2, 01159 Dresden, Tatverdächtiger Lothar König …‹, wird […] insinuiert, der Angeschuldigte hätte irgendetwas mit dem Hinzueilen anderer Demonstranten zu tun. Dies trifft jedoch schlechterdings nicht zu, er spielte lediglich Musik. Bei dieser handelte es sich um zeitgenössische elektronische Musik ohne Textuntermalung, die einmal 22 Sekunden und einmal 30 Sekunden dauerte. […] Um die Lüge, aufreißerische Musik sei gespielt worden, nicht zu decouvrieren, wird in dem kompilierten Video der Ton an der betreffenden Stelle ausgeblendet.«
Pfarrer König war bereits in der DDR mit der Staatsmacht in Konflikt geraten, das unverhältnismäßige und rechtlich fragwürdige Vorgehen der sächsischen Behörden dürfte bei vielen Betroffenen das Vertrauen in den Rechtsstaat nachhaltig ge- oder zerstört haben. »Hier ist der Lothar König«, so stellte sich der Pfarrer der Jungen Gemeinde Stadtmitte aus Jena in einer Rede vor, »der mit der Hausdurchsuchung und der kriminellen Vereinigung, Paragraph 129. Jetzt aber bin ich nur noch angeklagt wegen schwerem aufwieglerischen Landfriedensbruch, Paragraph 125. Wobei, 125 ist auch nicht zu verachten, der geht immerhin bis zehn Jahre. Eigentlich ist mir das zu viel, weil, na ja, in DDR-Zeiten haben wir bis maximal drei Jahren gerechnet. Das kann man absitzen, dachten wir, damals in der DDR.« Während eines Besuchs bei der Linksfraktion im sächsischen Landtag erklärte König, indem versucht werde, Teilnehmer von Sitzblockaden und Protesten kleinzukriegen, entstünden Erinnerungen an die Methoden der DDR-Staatssicherheit. »Ich habe ernsthaft nicht gedacht, so etwas noch einmal zu erleben«, sagte der Pfarrer. Zudem habe sich der Eindruck verfestigt, dass Politik und Justiz in Sachsen entgegen der Gewaltenteilung ineinander übergingen.
Das Vorgehen der sächsischen Polizei sorgte auch zwischen den Landesregierungen für Irritationen, immerhin wurden die Kollegen in Thüringen nicht konkret über die Razzia informiert. 45 Minuten vor dem Einsatz wurde die Einsatzzentrale der Polizeidirektion Jena lediglich telefonisch darüber in Kenntnis gesetzt, dass eine Durchsuchungsmaßnahme stattfinden werde. Gegenüber welcher Person und aus welchen konkreten Gründen, wurde nach Angaben der sächsischen Regierung nicht mitgeteilt, nachgefragt hätten die Thüringer Kollegen aber auch nicht. Erst als die Aktion in vollem Gange war, kamen Polizisten aus Jena an den Ort des Geschehens. Diese Angaben der sächsischen Regierung stammen aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD im Landtag – und sie stehen im Widerspruch zu denen von Justizminister Jürgen Martens (FDP), der zuvor noch öffentlich behauptet hatte, die Aktion sei den Thüringer Behörden nicht nur bekannt, sondern sogar mit ihnen abgestimmt gewesen. Die SPD wertete dies als glatte Lüge.
König erfuhr derweil viel Solidarität und Zuspruch, Spenden für den drohenden Prozess wurden gesammelt. Die Anklage gegen König sei ein politisches Verfahren, erklärten die Fraktionschefs von SPD, Grünen und Linken im Thüringer Landtag. Auch
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