Terror von Rechts
massenhafte Ausspähen von Handydaten im Umfeld der Proteste gegen den Neonazi-Aufmarsch gezeigt hat. Im Windschatten dieses weitgehend autoritären Systems hat sich in Sachsen eine massive rechtsextreme Szene entwickelt« – und diese Bewegung war Voraussetzung dafür, dass sich drei Rechtsterroristen über Jahre in dem Freistaat einrichten konnten.
Jennerjahn betont, die CDU sei nicht Ursache des Rechtsextremismus, aber aufgrund »ihrer Verantwortung und des von ihr mit zu verantwortenden gesellschaftlichen Klimas konnte sich jedoch eine rechtsextreme Szene entwickeln, ohne auf allzu viel Widerspruch zu stoßen. Mehr noch: Indem oftmals diejenigen als ›Linksextremisten‹ oder ›Nestbeschmutzer‹ stigmatisiert wurden und werden, die sich gegen neonazistische Hegemonialbestrebungen engagieren und deshalb zur Zielscheibe von Neonazis werden, wurden gesellschaftliche Räume geschaffen, in denen sich eine rechte Szene ausbreiten konnte.« Das Unterstützernetzwerk des NSU zeigt, was aus einer solchen Szene werden kann. 80
Nun könnte man die Vorgänge und Konfrontationen in Sachsen als Einzelfall bewerten, doch dahinter steckt mehr, hier prallen die politischen Lager und Weltsichten ungebremst aufeinander: Der Diskurs um die Geschichtsdeutung, eine autoritäre Form der Demokratie, mittlerweile als Sächsische Demokratie verspottet, gegen neue Protestformen von Tausenden Menschen, die gesellschaftlich breite Bündnisse schmieden, eine Extremismus-Doktrin, die benutzt wird, um Linke zu dämonisieren und Neonazis zu verharmlosen; hier finden sich junge, aktive, selbstbewusste Bürger, die die Demokratie mit neuem Leben erfüllen – und mit einer Extremismus-Klausel unter Generalverdacht gestellt werden, gegen die Demokratie zu arbeiten. Sachsen zog sich sogar von einem Demokratiepreis zurück, mit dem Initiativen ausgezeichnet wurden, die dort für die Demokratie eintreten, wo diese besonders bedroht ist. Von Berlin, Hamburg, München, Dresden oder Leipzig aus lassen sich gute Ratschläge geben und Sonntagsreden halten, aber den Kopf halten – im wahrsten Sinne des Wortes – die Menschen in den Regionen hin, wo die Rechtsextremen stark sind. Das Portal
Mut gegen rechte Gewalt
merkte vollkommen treffend an: »Das 2008 ausgezeichnete ›Treibhaus‹ in Döbeln muss sich seit Jahren den Angriffen von Neonazi-Kameradschaften erwehren. Es gab einen brutalen Überfall von Vermummten und eine Brandstiftung. Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Akubiz in Pirna, das den Preis ablehnte, organisiert seit Jahren den Widerstand gegen eine braune Jugendkultur, die auch nach dem Verbot der Skinheads Sächsische Schweiz in der Region stark ist. Für die Mitglieder dieser und anderer Vereine ist das Eintreten für Demokratie und gegen Neonazismus eine gefährliche Sache. Viele von ihnen wurden von rechten Schlägern schon gejagt, bedroht und geschlagen. Ihre Vereinsheime sehen oft aus wie verbarrikadierte Bunker. Zerstörte Fensterscheiben sind Normalität, Körperverletzungen auch. In den Städten gelten die Engagierten oftmals als Nestbeschmutzer und Provokateure. So war es bisher eine bedeutende symbolische Geste, dass der Ministerpräsident diejenigen als Vorbilder adelte, die trotz rechter Gewalt und Ausgrenzung durch die Stadtoberen demokratische Prinzipien verteidigten und bunte Bausteine in wenig pluralistische Stadtstrukturen setzten.« 81
Das Akubiz hatte den Preis abgelehnt, weil die Preisträger plötzlich eine Klausel unterzeichnen sollten, wonach sie garantierten, nicht mit Extremisten zusammenzuarbeiten und außerdem zu überprüfen, dass das auch für ihre Partner gilt und dass man auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe. Eigentlich kein Problem, sollte man meinen, aber warum muss ausgerechnet ein Preisträger eines Demokratiepreises eine solche Erklärung unterzeichnen? Warum nicht der örtliche Dackelzüchterverein oder Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr? Offenkundig, weil in vielen Politikerköpfen ein tiefes Misstrauen gegen Initiativen spukt, die ihren eigenen Kopf haben – und weil diejenigen, die sich gegen Neonazis engagieren oder auch nur über Rechtsextreme berichten, schnell als suspekt und vor allem linksradikal gelten. Ein Fall aus Niedersachsen zeigt dies exemplarisch: Ein Göttinger Journalist wurde wegen seines Berufs zur Zielscheibe des Verfassungsschutzes. Ein eingeschränkter Einblick in die Verfassungsschutzakte zeigte, dass die Göttinger Polizei das
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