Terror von Rechts
wurde. 15 verletzte Beamte sind 15 verletzte Polizisten zu viel, doch bei 6 400 Rechtsextremisten sowie weit mehr als 10 000 Gegendemonstranten kann wohl kaum von einem vollkommen misslungenen Polizeieinsatz gesprochen werden, unter solchen Rahmenbedingungen sind ganz andere Szenarien vorstellbar.
Die neonazistische Junge Landsmannschaft Ostdeutschland entdeckte indes ihr Herz für den Rechtsstaat und beklagte sich, »der verhinderte Trauermarsch« vom 13. Februar 2010 sei »zu einem ›Trauerspiel‹ der gelebten ›Demokratie‹ der BRD geworden«. Die NPD wetterte, »die BRD ist offenkundig nur noch die Karikatur eines Rechtsstaates«. Der Politologe Jesse orakelte, dass die Neonazis nach dem Desaster nun noch stärker zusammenhalten würden, obwohl in der Szene bereits offen über Strategien gestritten wurde. Den Rechtsextremen verhelfe auch die vermeintliche Schmach, dass sie erstmals überhaupt in Dresden nicht aufmarschieren konnten, zu einem Gemeinschaftserlebnis, behauptete Jesse. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten: Sich den Nazis bloß nicht entgegenstellen, sonst werden sie nur gestärkt. Dass dies offenkundig Unsinn ist, dokumentieren die Teilnehmerzahlen der rechtsextremen Aufmärsche. Denn den Neonazis wird durch die erfolgreichen Blockaden und die höchst demokratische Bündnispolitik ein zentrales Element aus ihrem Strategiekonzept genommen, nämlich der »Kampf um die Straße«. Sie wollten öffentlichen Raum besetzen, um eine Hegemonie aufzubauen. Dies ist nun auch in Dresden gescheitert, eine symbolkräftige Schlappe für die Rechtsextremen, war die NPD doch dort erstmals in einen Landtag eingezogen und konnte auch erstmals den Wiedereinzug feiern.
Fakt ist, die Neonazis werden zurückgedrängt, ein Erfolg zweifelsohne, doch warum konnten sie in Dresden überhaupt so erfolgreich sein? Wie schafften sie es, Aufmärsche mit Tausenden Teilnehmern aus ganz Deutschland und halb Europa zu organisieren, anfangs ohne nennenswerten Protest in der Stadt? Die Neonazis waren mit ihren Parolen der ideologische Zwillingsbruder des Opfermythos in Dresden. Das Auschwitz-Komitee sprach in diesem Zusammenhang von einer fehlgeschlagenen »Gedenkkultur«. Es gebe immer noch Menschen, so das Komitee in einer Erklärung, »die meinen, die Neonazis würden von selbst verschwinden, wenn nur niemand hinschaut, wenn ihnen keine Beachtung geschenkt würde und sie ›unter sich‹ blieben. Wegsehen ändert nichts. Kämpfen wir für ein friedliches Leben ohne Rassismus und Antisemitismus. Das sind wir den Millionen Opfern der faschistischen Verbrechen schuldig. Notfalls auch mit den Mitteln zivilen Ungehorsams wie Blockaden von Nazidemos, denn ziviler Ungehorsam ist unser Recht – nach Grundgesetz und Völkerrecht!«.
Teilnehmerzahlen der rechtsextremen Aufmärsche in Dresden:
• 13. Februar 2001: 500 Teilnehmer
• 13. Februar 2002: 1 000 Teilnehmer
• 13. Februar 2003: 1 000 Teilnehmer
• 14. Februar 2004: 2 500 Teilnehmer
• 13. Februar 2005: 5 000 Teilnehmer
• 11. Februar 2006: 4 200 Teilnehmer
• 13. Februar 2007: 1 750 Teilnehmer
• 13. Februar 2008: 750 Teilnehmer / 16. Februar 2008: 3 800 Teilnehmer
• 13. Februar 2009: 1 300 Teilnehmer / 14. Februar 2009: 6 500 Teilnehmer
• 13. Februar 2010: 6 400 Teilnehmer
• 13. Februar 2011: 2 000 Teilnehmer
• 13. Februar 2012: 1 500 Teilnehmer
Noch immer wird bei dem deutschen Opfermythos gern verdrängt, dass vor Dresden Auschwitz war – sowie Hunderte weitere deutsche Kriegsverbrechen. Zudem war das »Elb-Florenz« nicht eine »unschuldige Kulturstadt«, wie es oft behauptet wird. »Dresden war wie viele andere Städte im Nationalsozialismus in den Vernichtungskrieg und den Holocaust verwickelt. Die Bombardierung unterschied sich nicht in dem Ausmaß von dem anderer Städte, wie es die Erinnerung in Dresden glauben machen möchte. In Hamburg etwa gab es ungefähr 10 000 Tote mehr. Was sich vor allem unterscheidet, ist der Verlauf der Erinnerung an die Bombardierung – und dass die Bombardierung von der Bevölkerung und den Regierenden besonders stark in die deutsche Opferperspektive eingebaut wurde«, erklärte Henning Fischer im Interview mit dem
Netz gegen Nazis
. 79
Fischer beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Opfermythos Dresden und veröffentlichte das Buch
Erinnerung an und für Deutschland. Dresden und der 13. Februar 1945 im Gedächtnis der Berliner Republik
im Verlag Westfälisches Dampfboot. Der Historiker betonte, in einen
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