Terror von Rechts
trefflich streiten, ein Skandal war er aber nicht. Doch plötzlich fühlten sich Blogger aus Jena, die sich sonst mit Kinderbasteleien oder Sternegucken beschäftigen, berufen, sich über die vermeintliche Brandmarkung Jenas als rechte Hochburg zu beklagen. Über die rassistische Mordserie war auf diesen Seiten übrigens nichts zu lesen, erst als »ihre« Stadt vermeintlich in die rechte Ecke gestellt wurde, schalteten sich die Bürger ein. Sie fühlten sich offenkundig persönlich angegriffen – und in einer Petition wurde eine Entschuldigung vom ZDF gefordert – und zwar bei »ALLEN« (!) Bürgern Jenas und »nicht nur« bei denen mit Migrationshintergrund. Also auch bei den Rechtsterroristen der Stadt. Mehrere Tausend Menschen unterzeichneten diesen Aufruf. Schließlich fand sogar eine Podiumsdiskussion zu diesem vermeintlichen Skandalbeitrag statt; da in der Veranstaltungshalle zu wenige Menschen Platz fanden, wurde dieses Ereignis auf einer Großbildleinwand auch nach draußen übertragen. Der ZDF-Vertreter wurde ausgebuht, als er fragte, warum jetzt die kollektive Empörung herrsche – und nicht bereits nach der rechtsextremen Terrorserie. Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung merkte treffend an: »Die Leute fürchten sich mehr vor dem Imageschaden, der durch die Aufklärung entsteht, als vor dem verbrecherischen Potential, das sich jahrelang in ihrer Mitte entfaltete.« 94
Auch Bürger, die sich in Jena und Thüringen gegen Rechtsextremismus engagieren, kritisierten die Petition und den Aufschrei in der Stadt, hatten sie doch jahrelang um Aufmerksamkeit für die Neonazi-Strukturen in dem Land gekämpft. Die
taz
warnte indes, man dürfe die Ostdeutschen nicht als Nazis diffamieren, was im Übrigen gar nicht geschehen war. »Eine ganze Stadt« fühle »sich denunziert«, schrieb die
taz
empathisch. Dabei sei Jena »erzstudentisch, erzakademisch, wohlerzogen und lieb, so lieb, dass man nicht einmal den Punks in der Innenstadt ihre Subversion abkauft.« Es sei daher viel zu einfach, von einem ostdeutschen Problem zu sprechen. Da war wieder die banale Feststellung, dass es überall in Deutschland Neonazis gebe, was aber noch nichts über deren Anzahl, Organisationsgrad und regionale Schlagkraft aussagt. Bemerkenswert ist, dass vor allem die
taz
immer wieder behauptet, man dürfe nicht die Besonderheiten des ostdeutschen Neonazi-Problems benennen, obgleich diese Zeitung seit Jahren kontinuierlich und fundiert über den Rechtsextremismus berichtet. Der Journalist Andrej Reisin vermutete auf
Publikative.org
, möglicherweise handele die
taz
»aus einem falschen, linken Moment der Inklusion, nach dem Motto, wir dürften keinen ausgrenzen, schon gar nicht die armen Ossis, die seit 1990 ausgegrenzt würden. Dieser Glaube an eine bessere Gesellschaft, der zum Beispiel in Gorleben geboren wurde und sich auf den Weg gemacht hat, auch noch den dümmsten Bauern von der Größe ökologisch angebauter Kartoffeln zu überzeugen – kippt angesichts des Rassismus der real existierenden Gesellschaft in die totale Regression. Warum? Weil er sich schlechterdings zum Werkzeug des Appeasements gegenüber den Nazis macht. Es gibt kein ›wir‹ mit Rassisten, es gibt kein ›wir‹ mit Nazi-Mördern, es gibt kein ›wir‹ mit evangelikalen Christen, es gibt kein ›wir‹ mit Homophobie, es gibt kein ›wir‹ mit militanten Abtreibungsgegnern und es gibt kein ›wir‹ mit ostdeutscher Identitätsbefindlichkeit, die genau all diese anderen Ausgrenzungen ignoriert und gedeihen lässt, weil man selbst das Opfer der bösen Wessis sei.« 95
In einem der erwähnten Jenaer Blogs, die so um das Image »ihrer« Stadt kämpften und es dabei erst kaputtmachten, schrieb ein »Bunthaariger«, er habe sich schon oft unwohl im Osten gefühlt. Ein anderer fragte: »Und wer zwingt dich dazu, dir deine Haare bunt zu färben?« Das ist die Message: Du wirst von Nazis angemacht? Selbst schuld! Wenn alle gleich aussehen, gibt es auch keine Probleme. Also, Ruhe bitte! Doch das Gegenteil ist richtig: »Wir brauchen mehr Unruhe«, forderte Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld im Gespräch mit dem Autor. Recht hat er – und zwar nicht nur auf Ostdeutschland bezogen, sondern auf die Provinz generell. Konkret bedeutet das: Alternative Jugendliche unterstützen, um die Schweigespirale in vielen Orten zu durchbrechen.
Der ehemalige Neonazi Ingo Hasselbach meint, die Stärke der Rechtsextremen im Osten habe »mit dem Aufwachsen der
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