Terror von Rechts
Leute zu tun, wo die Leute herkommen, dem Hintergrund. Wenn man aufwächst in einem System, was relativ hierarchisch angelegt ist, diktatorische Züge teilweise hat«. Damit bezieht sich Hasselbach eben nicht auf die jüngeren Menschen, sondern auf die Älteren, die den gesellschaftlichen Rahmen für die nachwachsende Generation definiert, was einmal mehr zeigt, wie verkürzt es ist, den Rechtsextremismus als Jugendproblem zu betrachten und die Einstellungen der Älteren, die zwar nicht gewalttätig sind, aber ähnliche Überzeugungen vertreten, schlicht zu ignorieren. Weiterhin sollten antiwestliche sowie antikapitalistische Einstellungen nicht vergessen werden. Hasselbach betont, es handele sich bei den Rechtsextremen, genau wie zu DDR-Zeiten, erneut um eine Opposition gegen dieses System. 96
Auch andere Indikatoren zeigen, dass mit dem Spruch »Deutschland, einig Vaterland« längst nicht alle Unterschiede einfach überspielt werden können. Hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Wahlbeteiligung – hier liegen die neuen Bundesländer ebenfalls stets in der Spitzengruppe. Den hohen Erwartungen durch das Versprechen von blühenden Landschaften in naher Zukunft folgte eine umso größere Enttäuschung. Diese Frustration sowie die Abwesenheit der demokratischen Parteien in ganzen Regionen erleichtert es wiederum der NPD ungemein, sich als Partei der Kümmerer zu inszenieren. In Ostvorpommern beispielsweise verfüge sie über Ressourcen, von denen andere nur träumen können, sagt der Rechtsextremismus-Experte Günther Hoffmann. Es sei hier gar nicht mehr möglich, die NPD auszugrenzen. »Die Strukturen der Neonazis sind so weit fortgeschritten, dass sie schon systemstabilisierend sind«, so Hoffmann. »In Dörfern mit einigen hundert Einwohnern würde ohne diese Strukturen gar nichts mehr gehen.« 97
Nach wie vor gilt für weite Teile der ländlichen Räume Ostdeutschlands: Wer Abitur hat und/oder eine Frau ist, zieht weg. Die Bevölkerung schrumpft und veraltet und zurück bleiben überproportional viele wenig gebildete Männer mit schlechten wirtschaftlichen Perspektiven. Das ist bekanntermaßen die Zielgruppe, die als besonders anfällig für die Propaganda der Neonazis gilt. Von homogenen Gruppen geht zudem weit mehr Gefahr aus als von heterogenen. In kleinen Gemeinden herrscht ein hoher Konformitätsdruck; man kennt sich, es ist kaum möglich, alternative Bekanntschaften und Freundeskreise aufzubauen, anders als in Großstädten.
Die rechtsextremen Einstellungsmuster stellen in der Tat ein gesamtdeutsches Problem dar, aber auch mit Unterschieden in West und Ost. Zum einen betrifft dies die Umsetzung der Einstellungen in konkretes Verhalten bei Wahlen oder sogar in Gewalt. Zum anderen haben wir es im Westen mittlerweile mit einer Verrohung des hier weit stärkeren Bürgertums zu tun. Ein Bürgertum, das sich im Osten nach dem Bruch von 1989 gerade erst neu erfindet.
Weiß, männlich und ländlich geprägt, bisweilen politische und wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit, gebrochene Biographien, verbreitete Ablehnung des Westens, die von den Älteren an die Jüngeren weitergegeben wird, Sehnsucht nach kollektivem Schutz gegen die neoliberale Ellenbogengesellschaft, wenig Erfahrungen im Umgang mit anderen Kulturen, schwache demokratische Parteien und gesellschaftliche Institutionen – in einigen ostdeutschen Gebieten kommt einiges zusammen. Aus diesen vielfältigen Gründen ist es zu kurz gesprungen, schlicht zu behaupten, der Rechtsextremismus sei ein gesamtdeutsches Phänomen. Eine solche These ist nicht falsch, aber deswegen auch nicht richtig. Vielmehr hat der militante Rechtsextremismus im Osten von der Quantität und Qualität Ausmaße angenommen, wie sie im Westen nicht zu finden sein dürften. Der NSU und sein Unterstützernetzwerk haben dies noch einmal grausam verdeutlicht. Das bedeutet, nicht die Rechtsextremisten können bestimmen, wo sie besonders stark sind, sondern die regionalen Verhältnisse sind entscheidend. Der Blick muss also auf die Mehrheitsgesellschaft gerichtet werden, um den Rechtsextremismus und seine Gewalt zu besiegen.
Der Kulturkampf
Sich mit dem Phänomen Rechtsextremismus zu beschäftigen ist frustrierend, furchtbar und vor allem auch sehr kompliziert; einfache Lösungen existieren nicht, sonst hätte es die NSU-Terrorserie nicht gegeben. »In Deutschland wird das Thema generell immer ein bisschen mit langen Fingern angefasst«, meint Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung. »Es
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