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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sogar zum Kentern des Schiffs führen.
    Als nur noch die drei Stümpfe aus Untermasten standen – ein Anblick, der für einen Seemann so grausam war wie ein dreifach amputierter Mensch für einen Porträtmaler –, hatte Blanky das Fieren des restlichen stehenden Guts beaufsichtigt. Zu fest angezogene Taue konnten die Massen aus Eis und Schnee nicht verkraften. Sogar die Boote der Terror  – zwei große Walboote und zwei etwas kürzere Kutter sowie Pinassen, Jollen und Dinghis –
waren aufs Eis hinuntergelassen, umgedreht, bedeckt und festgelascht worden.
    Im Moment befand sich Thomas Blanky in den Backbordwanten der zweiten Großspiere fünfundzwanzig Fuß über dem Deck und hatte nur noch eine höhere Ebene zu erklimmen. Jede Leine, die dort hinaufführte, bestand gewiss mehr aus Eis als aus Hanf und Holz. Der Großmast selbst war eine einzige Eissäule mit einer zusätzlichen Schicht Schnee auf der vorlichen Rundung. Der Eislotse setzte sich rittlings auf die Spiere und spähte durch das Schneetreiben hinab. Dort unten war es finster wie im Bauch eines Wals. Entweder hatte Handford Blankys Lampe ausgelöscht, oder etwas anderes hatte ihm die Mühe abgenommen. Nach Blankys Vermutung hatte sich der Mann irgendwo zusammengekauert oder war längst tot; auf jeden Fall war von ihm keine Hilfe zu erwarten. Von seiner Position auf dem Rundholz aus blickte der Eislotse nach steuerbord. Vorn am Bug, wo David Leys Wache gestanden hatte, war noch immer kein Licht zu sehen.
    Blanky strengte sich an, das Wesen auszumachen, doch unter ihm war einfach zu viel in Bewegung: Die zerfetzte Persenning flatterte, Fässer und lose Kisten rollten und schlitterten gemächlich über das Deck. Er konnte nur eine verschwommene Gestalt erkennen, die sich dem Großmast näherte und dabei zwei- und dreihundert Pfund schwere Sandtonnen aus dem Weg räumte wie zierliche Porzellanvasen.
    Den Großmast kann es nicht raufklettern , dachte Blanky. An den Beinen, der Brust und den Hoden spürte er bereits die Kälte, die von der Spiere ausging. Die Finger in seinen dünnen Handschuhen waren inzwischen völlig taub. Irgendwann hatte er seine Welsh Wig und seinen Wollschal verloren. Angespannt lauschte er, ob vielleicht unten schon daran gearbeitet wurde, die verschalkte vordere Luke zu öffnen. Es konnte doch nicht mehr lange dauern, bis ihm Rufe und Laternenschein Hilfe in Gestalt seiner
Kameraden ankündigen würden. Doch am Bug des Schiffes war nichts zu sehen außer wildes Schneetreiben. Hat die Bestie etwa auch die vordere Luke blockiert? Wenigstens kommt sie nicht den Großmast rauf. Kein Eisbär – wenn es einer ist – kann so gut klettern.
    Im nächsten Moment machte sich das Wesen daran, den gekürzten Großmast zu erklimmen.
    Blanky spürte die Erschütterungen, als es seine Pranken in das Holz schlug. Er hörte das Krachen und Scharren und Knurren  – ein tiefes, dröhnendes Knurren –, als es näher kam.
    Es kletterte.
    Um die abgerissenen Stümpfe der untersten Spiere zu erreichen, musste das Biest ja nur die Arme auf Kopfhöhe heben. Verzweifelt starrte Blanky hinunter auf die haarige, muskelbepackte Gestalt, die sich unaufhaltsam nach oben schob. Die gigantischen, fast mannsgroßen Vorderbeine – oder Arme – hatten die Höhe des abgebrochenen Rundholzes schon hinter sich gelassen und suchten mit ihren Krallen Halt am Mast, während sich die mächtigen Hinterbeine auf die gesplitterten Spierenstümpfe stützten.
    Vorsichtig kroch Blanky weiter auf die glatte zweite Spiere hinaus und umklammerte den zehn Zoll starken, im Wind summenden Holzbalken dabei wie in leidenschaftlicher Liebe. Auf der Rundung des sich nach außen verjüngenden Holms lagen zwei Zoll Schnee und darunter noch eine Eisschicht. Wann immer es ging, hielt er sich an den Webeleinen fest.
    Jetzt hatte die riesige Gestalt auf dem Großmast die Höhe von Blankys Spiere erreicht. Wenn er über die Schulter zurückschaute, konnte er eine gewaltige, blasse Abwesenheit erahnen, wo sich der senkrechte Strich des Masts von der Dunkelheit hätte abheben müssen.
    Plötzlich erschütterte ein heftiger Schlag die Spiere. Blanky wurde zwei Fuß hoch in die Luft geschleudert und prallte mit dem Unterleib so hart auf den Balken und die gefrorenen Wanten,
dass es ihm den Atem verschlug. Hätten sich seine Hände und der rechte Stiefel nicht in den Webeleinen unmittelbar unterhalb des vereisten Holms verfangen, wäre er einfach abgestürzt. Es war, als hätte ein

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