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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Raubtiers, das ihn ausschließlich als Nahrung betrachtete. Diese pechschwarzen Augen gehörten zu einem Schädel, der weit über Blanky schwebte und auf Schultern ruhte, die breiter waren, als der Eislotse die Arme ausstrecken konnte. Und sie näherten sich rasend schnell, als die riesige Gestalt auf ihn zustürzte.
    Blanky schleuderte die Flinte nach dem Wesen, weil zum Laden keine Zeit blieb, und hechtete in die Steuerbordwanten.
    Nur dank seiner vierzigjährigen Erfahrung auf See konnte der Eislotse mitten in der sturmdurchtosten Dunkelheit und ohne auch nur einen Blick zur Seite wissen, wo die vereisten Wanten waren. Er bekam sie mit den gekrümmten Fingern seiner fäustlingsfreien rechten Hand zu fassen, riss die Beine nach oben, fand mit zuckenden Stiefeln eine Webeleine und begann – mit dem Kopf fast nach unten baumelnd, weil die Taue stark durchhingen  – nach oben zu klettern.
    Sechs Zoll unter seinem Arsch pflügte etwas mit der Gewalt eines zwei Tonnen schweren Rammbocks durch die Luft. Blanky hörte, wie Hanf zerfetzt und Rüsteisen aus der Bordwand gezerrt
wurden. Unmöglich! Dann schwang das Tau nach innen, und der Eislotse wurde fast aufs Deck hinuntergeschleudert.
    Doch er ließ nicht los. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, warf er das Bein um die wenigen straffen Leinen, bis er Halt auf der vereisten Oberfläche fand, und kletterte weiter. Thomas Blanky bewegte sich noch immer mit der affenartigen Behändigkeit des zwölfjährigen Schiffsjungen, der einmal geglaubt hatte, dass die Spieren, Segel, Taue und Wanten des dreimastigen Kriegsschiffs, auf dem er diente, von Seiner Majestät nur zu seinem Vergnügen aufgebaut worden waren.
    Er befand sich jetzt zwanzig Fuß über dem Deck und näherte sich der nächsten Spiere, die im üblichen rechten Winkel zur Längsachse des Schiffs gebrasst war. Da schlug das Ungeheuer unten mit solcher Wucht gegen die Verankerung der Wanten, dass Holz, Dübel, Bolzen und Rüsteisen einfach aus der Schiffswand gerissen wurden.
    Sogleich schwenkten die strickleiterartigen Taue nach innen auf den Großmast zu. Falls Blanky gegen diesen Mast prallte, würde er das Gleichgewicht verlieren und direkt in das aufgesperrte Maul des Ungeheuers stürzen. Obwohl er in dem brüllenden Sturm immer noch keine fünf Fuß weit sehen konnte, sprang der Eislotse in die Backbordwanten.
    Im gleichen Augenblick, als seine eiskalten Finger die Spiere und die daran befestigten Taue ertasteten, fanden auch seine zappelnden Füße Halt in den Webeleinen. Blanky wusste, dass man beim Klettern in den Wanten am besten barfuß war, doch in dieser Nacht musste er es anders schaffen.
    Mehr als fünfundzwanzig Fuß über dem Deck zog er sich auf die zweite Spiere und klammerte sich mit Armen und Beinen an den eisigen Eichenbalken wie ein verängstigter Reiter an sein Pferd, während seine Füße nach den eisharten, rutschigen Leinen suchten.
    Normalerweise hätte jeder vernünftige Seemann trotz Dunkelheit,
Wind, Schnee und Hagel noch sechzig Fuß höher in die Takelage bis zur oberen Saling aufentern und seinem machtlosen Verfolger von dort Beschimpfungen an den Kopf werfen können wie ein Schimpanse, der aus seiner sicheren Position in einem hohen Baum Obst und Fäkalien fallen lässt. Aber in dieser Dezembernacht gab es auf der HMS Terror keine obere Takelage, in die man hätte fliehen können. Und vor einem Verfolger, der mit seinen gewaltigen Kräften sogar eine Großspiere zerschlagen konnte, gab es ohnehin keine Sicherheit.
    Vor über einem Jahr im September hatte Blanky Kapitän Crozier und dem Vortoppmann Harry Peglar dabei geholfen, die Terror auf ihre zweite Überwinterung bei dieser Expedition vorzubereiten. Es war keine einfache und auch keine ungefährliche Aufgabe. Die Rahen und das laufende Gut wurden niedergeholt und unter Deck eingelagert. Dann wurden vorsichtig die Bram- und Marsstengen gestrichen – vorsichtig, denn ein einziger Fehler mit der Winsch oder dem Block oder eine Verwicklung im Flaschenzug konnte genügen, damit die schweren Masten durch Oberdeck, Unterdeck, Orlop und den Schiffsboden schlugen wie ein massiver Speer durch einen Weidenkorb. So manches Schiff war schon auf diese Weise gesunken. Aber wenn die Masten in voller Höhe stehen geblieben wären, hätte sich auf ihnen im Verlauf des Winters zu viel Eis angesammelt, das dann für einen ständigen Hagel großer Brocken gesorgt hätte. Und das große Gewicht des Eises weit oberhalb des Schwerpunkts konnte

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