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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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er sich in das Eisloch.
    Nur mit knapper Not passten seine Schultern durch. Die Spitzen seiner Stiefel glitten zuckend ab, ehe sie sich einstemmen konnten. Scharrend suchten seine Finger und Knie nach Halt.
    Blanky war erst vier Fuß tief in dem Loch, als das Wesen nach ihm griff. Es riss ihm den rechten Stiefel und einen Teil des Fußes ab. Der Eislotse spürte das Eindringen von Krallen in seine Muskeln und hoffte, dass er nur die Ferse verloren hatte. Nachsehen konnte er nicht. Ächzend kämpfte er gegen einen stechenden Schmerz an, der sogar die Taubheit seines verwundeten Beins durchdrang. Er wand und wälzte sich voran, um tiefer in das Loch zu kommen.
    Der Eisschacht wurde enger.
    Krallen harkten über sein linkes Bein und rissen es genau an der Stelle auf, wo er sich bei seinem Sprung aus den Wanten ohnehin verletzt hatte. Er roch sein Blut, und auch das Ungeheuer musste es gewittert haben, denn das Scharren setzte für einen Augenblick aus. Dann stieß es ein lautes Brüllen aus.
    In der engen Eisröhre war der Schrei ohrenbetäubend. Blanky steckte mit den Schultern fest und konnte sich nicht weiter vorarbeiten. Er wusste, dass die untere Hälfte seines Körpers noch in Reichweite des Ungeheuers war. Wieder brüllte das Wesen auf. Blanky spürte, wie seine Hoden zusammenschrumpften,
aber er war nicht starr vor Schreck. Er nutzte die kurze Unterbrechung, um sich ein Stück zurückzuschlängeln und wieder Bewegungsspielraum für die Arme zu bekommen. Dann warf er sich mit letzter Kraft nach vorn. Mit Füßen und Knien scharrend und kratzend, riss er sich Kleider und Haut von den Schultern und Seiten, als er sich durch die Eisöffnung zwängte, durch die normalerweise kaum ein Halbwüchsiger gepasst hätte.
    Nach dieser engen Stelle wurde der Schacht weiter und führte nach unten. Auf seinem eigenen Blut rutschte Blanky bäuchlings in die Tiefe. Die restlichen Kleider hingen ihm in Fetzen vom Körper. Er spürte, wie die Kälte des Eises in seinen angespannten Bauch und Unterleib vordrang.
    Die Bestie brüllte ein drittes Mal, aber das schreckliche Geräusch schien nun mehrere Fuß weiter entfernt.
    Im letzten Augenblick, kurz bevor er über den Rand des Schachts in einen offenen Raum fiel, durchzuckte Blanky die bittere Erkenntnis, dass alles umsonst gewesen war. Die Röhre, die vermutlich vor vielen Monaten beim Schmelzen entstanden war, hatte ihm zwar Zugang zu dem kleinen Eisberg verschafft, doch jetzt hatte sie ihn wieder ausgespien. Plötzlich lag er auf dem Rücken und blickte hinauf zu den schwach schimmernden Sternen. Er roch sein Blut und spürte, wie es in frisch gefallenen Schnee sickerte. Draußen hörte er, wie das Wesen erst links, dann rechts um den Berg streifte, gierig auf seine Beute, deren aufreizendem Blutgeruch es jetzt bloß noch folgen musste. Der Eislotse war zu schwer verletzt und zu erschöpft, um auch nur einen Fuß weiterkriechen zu können. Er fand sich mit seinem Schicksal ab. Mochte der Seemannsgott diese grausige Bestie, die ihn gleich fressen würde, hinunter in die Hölle jagen und sie dort braten bis in alle Ewigkeit. In seinem letzten Gebet flehte Blanky darum, dass die Bestie an einem seiner Knochen ersticken sollte.
    Erst nach einer vollen Minute und mehrfachem weiteren
Brüllen, das immer lauter und enttäuschter wurde und jeweils aus einer anderen Richtung durch den nächtlichen Schleier um Blanky kam, begriff der Eislotse, dass ihn die Bestie nicht erreichen konnte.
    Er lag hier zwar unter den Sternen, war aber in einem Eiskasten eingeschlossen, der nicht größer war als fünf auf acht Fuß – ein Käfig, der entstanden war, als der Druck des Meereises mindestens drei mächtige Eisberge übereinandergeschoben hatte. Einer der umgekippten Kolosse hing über ihm wie eine einstürzende Wand, trotzdem konnte Blanky die Sterne sehen. Anscheinend hatte sich der Schneesturm gelegt. Das Licht der Sterne fiel auch durch zwei senkrechte Schlitze an den Wänden seines Eissargs. Er sah, dass keine fünfzehn Fuß entfernt von ihm die riesige Gestalt des Raubtiers ihren Schimmer am unteren Ende dieser Sprünge verdeckte. Doch die Lücken zwischen den Eisbergen waren nicht breiter als sechs Zoll. Der Schmelzschacht, durch den er hereingekrochen war, war der einzige echte Zugang zu seiner Höhle.
    Zehn Minuten lang stapfte das Ungeheuer brüllend auf und ab.
    Mühsam setzte sich Blanky auf und lehnte den geschundenen Rücken und die Schultern gegen das Eis. Überrock und Plünnen

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