Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
waren verschwunden, und seine Hose, die zwei Pullover, die Woll- und Baumwollhemden sowie das Unterhemd waren nur noch blutige Fetzen. Der Kältetod rückte immer näher.
    Die Bestie traf indessen keine Anstalten, sich zu trollen. Immer wieder umkreiste sie den Eiskasten wie ein rastloses Raubtier in einem dieser modernen zoologischen Gärten Londons. Nur dass Blanky im Käfig saß.
    Selbst wenn das Wesen wundersamerweise verschwunden wäre, hätte er weder die Kraft noch den Willen besessen, um durch den engen Schacht nach draußen zu kriechen. Und selbst wenn
ihm dies irgendwie gelungen wäre, hätte er ebenso gut auf dem Mond sein können – jenem Mond, der sich gerade zwischen den jagenden Wolken hervorschob und die Eishügel rundherum in einen weichen bläulichen Schein tauchte. Und selbst wenn er schließlich den Weg aus diesem Eisberglabyrinth gefunden hätte, die Strecke von hundertfünfzig Faden bis zum Schiff konnte er nie und nimmer bewältigen. Sein Körper war völlig taub, die Beine ließen sich nicht mehr bewegen.
    Blanky schob den kalten Hintern und die nackten Füße tiefer in den Schnee, der hier höher lag, weil der Wind nicht in die Höhle vordrang. Er fragte sich, ob ihn seine Maaten jemals finden würden. Warum sollten sie überhaupt nach ihm suchen? Schließlich wäre er nicht der erste Teilnehmer der Expedition, den das Wesen aus dem Eis verschleppte. Und wenn er verschwunden blieb, musste der Kapitän wenigstens nicht noch eine überflüssigerweise in gutes Segeltuch gewickelte Leiche oder den Teil einer Leiche nach unten in die Totenkammer schaffen lassen.
    Irgendwo durch den hinteren Schlitz hörte Blanky Gebrüll und Geräusche, die er einfach ignorierte. »Scheiß auf dich und den Satan, der dich in die Welt gesetzt hat«, murmelte der Eislotse durch eisstarre Lippen. Vielleicht brachte er auch keine Worte mehr hervor. Immer noch lief ihm das Blut aus mehreren Wunden und Rissen, wenngleich es an mehreren Stellen schon festgefroren schien. Er merkte, dass Erfrieren gar nicht schmerzhaft war. Im Gegenteil, es war ganz ruhig … und unendlich friedlich. Eine wunderbare Art zu …
    Plötzlich sah Blanky Licht, das durch die Sprünge und den Schacht einfiel. Das Wesen leuchtete mit Fackeln und Laternen, um ihn hinauszulocken. Aber auf so einen alten Trick fiel er nicht herein. Er musste nur ganz still bleiben, bis das Licht wieder verschwand und er das letzte Stück in den weichen Schlaf der Ewigkeit hinüberglitt. Nach diesem langen, stummen Zweikampf
würde er dem Ungeheuer bestimmt nicht die Genugtuung geben, ihn sprechen zu hören.
    »Gottverdammt, Mr. Blanky!«, dröhnte Kapitän Croziers Bass durch den Schacht. »Wenn Sie da drin sind, dann antworten Sie gefälligst, oder wir lassen Sie dort unten liegen.«
    Blanky blinzelte verwirrt. Oder er versuchte es zumindest. Seine Wimpern und Lider waren festgefroren. Das konnte doch nicht wieder eine List dieses Dämons sein!
    »Hier«, krächzte er. Und noch einmal lauter: »Hier!«
    Eine Minute später schoben sich Kopf und Schultern des Kalfaterersmaats Cornelius Hickey, des kleinsten Mannes auf der Terror , durch das Loch. Er hatte eine Laterne bei sich. Es war, überlegte Blanky dumpf, als sähe er der Geburt eines rattengesichtigen Gnoms zu.
     
     
    Letztlich machten sich alle vier Ärzte über ihn her.
    Ab und zu dämmerte Blanky aus seinem angenehmen Nebel hoch, um zu sehen, wie die Sache voranging. Manchmal waren es Peddie und MacDonald, die Ärzte von seinem Schiff, die an ihm herumdokterten, manchmal Stanley und Goodsir, die Knochensäger der Erebus. Mitunter schnitt und säbelte, verband und nähte auch nur einer. Blanky hätte Goodsir gern darüber aufgeklärt, dass Polarbären viel schneller laufen konnten als nur fünfundzwanzig Knoten in der Stunde, wenn sie es darauf anlegten. Doch andererseits – war das wirklich ein Polarbär? Blanky glaubte es nicht. Weiße Bären waren Geschöpfe dieser Erde, und dieses Wesen stammte aus einer ganz anderen Welt. Daran hatte der Eislotse Thomas Blanky nicht mehr den geringsten Zweifel.
    Der Blutzoll war nicht allzu hoch ausgefallen. Nein, wirklich nicht.
    John Handford war überhaupt nicht in Gefahr gewesen, wie
sich herausstellte. Nachdem ihn Blanky mit der Laterne allein gelassen hatte, hatte der Mann am Steuerbordposten sein Licht gelöscht und war zur Backbordseite des Schiffs geflohen, um sich zu verstecken, während das Ungeheuer den Mast hinaufkletterte, um sich den Eislotsen zu

Weitere Kostenlose Bücher