Terror
holen.
Alexander Berry, den Blanky für tot gehalten hatte, hatte man begraben unter der eingestürzten Persenning und den verstreuten Fässern gefunden, genau an der Stelle, wo er auf Backbordwache stand, als das Ungeheuer auftauchte und die vorliche und achterliche Spiere herunterriss. Der Seemann hatte sich den Kopf so heftig angeschlagen, dass er sich an keines der Ereignisse an diesem Abend mehr erinnern konnte. Von Crozier erfuhr Blanky, dass die Flinte des Matrosen abgefeuert worden war. Auch der Eislotse selbst hatte aus kürzester Entfernung auf die Gestalt geschossen, als sie wie ein Kirchenportal vor ihm aufragte, doch nirgendwo an Deck hatte man irgendwelche Blutspuren der Bestie entdeckt.
Crozier fragte Blanky, wie das sein konnte. Wie konnten zwei Männer aus größter Nähe auf ein Tier schießen, ohne ihm auch nur eine blutende Wunde beizubringen? Der Eislotse gab keine Meinung dazu ab, obwohl er in seinem Innersten natürlich Bescheid wusste.
Auch Davey Leys war unverletzt geblieben. Der vierzigjährige Matrose musste vom Bugposten aus viel gehört und beobachtet haben – vielleicht sogar, wie das Wesen überhaupt an Bord gelangt war. Aber Leys äußerte sich nicht dazu. Wieder war er zu nichts anderem fähig, als stumm vor sich hin zu starren. Zuerst brachte man ihn ins Schiffslazarett der Terror . Da die Ärzte den blutverschmierten Raum jedoch dazu benötigten, Blanky zu operieren, wurde Leys mit einer Trage in das geräumigere Krankenquartier der Erebus transportiert. Dort lag er, wie Blankys redselige Besucher zu berichten wussten, und glotzte reglos hinauf zu den Deckenbalken.
Blanky selbst war nicht ungeschoren davongekommen. Das Ungeheuer hatte ihm von der Ferse her den halben rechten Fuß abgerissen. MacDonald und Goodsir hatten die Wunde sorgfältig ausgebrannt und dem Eislotsen versichert, dass sie mit Hilfe des Zimmermanns oder des Schmieds eine mit Riemen zu befestigende Prothese aus Leder oder Holz anfertigen würden, damit er wieder gehen konnte.
Sein linkes Bein hatte am stärksten unter den Attacken des Ungeheuers gelitten. An manchen Stellen war ihm das Fleisch bis auf den Knochen abgeschabt worden, und selbst im Wadenbein hatten die Krallen tiefe Furchen hinterlassen. Dr. Peddie gestand ihm später, dass alle vier Ärzte eine Amputation unter dem Knie zunächst für unvermeidlich gehalten hatten. Aber die Verlangsamung von Infektion und Wundbrand war einer der wenigen Segen der Arktis, und nachdem der Knochen wieder eingerichtet und die Wunde mit mehr als vierhundert Stichen vernäht worden war, heilte Blankys Bein allmählich wieder – wenn auch verdreht, stark vernarbt und hier und da ohne die ursprünglichen Muskelbündel. »Die Narben werden deine Enkel bestimmt beeindrucken«, hatte James Reid gemeint, als er seinen Kollegen besuchte.
Auch die Kälte hatte ihren Tribut gefordert. Blanky hatte zwar alle Zehen behalten – und die brauchte er auch, wie ihm die Ärzte erklärten, um auf seinem versehrten Fuß das Gleichgewicht zu halten –, doch an der rechten Hand hatte er sämtliche Finger bis auf den Daumen und an der linken die zwei kleineren Finger und den Daumen verloren. Goodsir, der sich in diesen Dingen offenbar auskannte, versicherte ihm allerdings, dass er imstande sein würde, mit den zwei verbleibenden Fingern an der linken Hand eines Tages mühelos zu schreiben und zu essen, und wenn er noch den Daumen der rechten Hand benutzte, auch wieder seine Hosen und Hemden zuzuknöpfen.
Thomas Blanky war es vollkommen schnurz und piepe, ob
er seine Hosen und Hemden zuknöpfen konnte. Fürs Erste zählte nur, dass er noch lebte. Das Wesen aus dem Eis hatte alles darangesetzt, ihm den Garaus zu machen, und er hatte trotzdem überlebt. Er konnte Essen schmecken, mit seinen Maaten reden, seine tägliche Viertelpinte Rum aus dem Zinnkrug trinken, den er schon wieder gut in den verbundenen Händen hielt, und ein Buch lesen, wenn es ihm jemand hinlegte. Er hatte sich fest vorgenommen, den »Landprediger von Wakefield« zu lesen, bevor er endgültig den Drang des Irdischen abschüttelte.
Blanky war am Leben und wollte es auch weiterhin bleiben, solange er konnte. Und im Augenblick war er einfach nur glücklich. Er freute sich schon darauf, wieder seine Kajüte hinter dem Mast beziehen zu können, die zwischen der des Dritten Leutnants Irving und der des Kapitänsstewards Jopson lag. Sobald die Ärzte sicher waren, dass sie nicht mehr an ihm herumschnippeln,
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