Terror
Staaten ihren Mann nach Hause bringen. Und so appelliere ich heute um der Menschlichkeit willen an Ihre Großzügigkeit. Ich bitte Sie im Namen Lady Franklins, im Namen ihres verschollenen Gatten und mit der Zuversicht, dass dieses Unternehmen den Vereinigten Staaten von Amerika großen Ruhm eintragen wird …«
Der Mann verschwindet und erscheint übergangslos erneut vor Croziers innerem Auge. Doch jetzt trägt der bärtige Bursche keinen Anorak, sondern liegt nackt in einem Bett des Union Hotel in New York, zusammen mit einer sehr jungen nackten Frau. Es ist warm, und die Bettdecken sind zurückgeschlagen. Von Schlittenhunden keine Spur.
»Wie groß meine Fehler auch sein mögen«, sagt der Mann mit leiser Stimme, weil die Fenster auf die New Yorker Nacht geöffnet sind, »wenigstens habe ich dich geliebt. Selbst wenn du eine Kaiserin wärst, meine kleine Maggie, und nicht nur ein unbekanntes Mädchen, das einem dunklen und dubiosen Geschäft nachgeht, würde sich daran nichts ändern.«
Crozier erkennt Maggie Fox in der nackten Frau – sie ist nur einige Jahre älter. Auch ohne Kleider ist sie immer noch auf diese ein wenig einfältige amerikanische Weise reizvoll.
Maggies Stimme ist nun viel kehliger als der kindlich schrille Befehlston, den Crozier vorhin gehört hat. »Dr. Kane, Sie wissen, dass ich Sie liebe.«
Der Mann schüttelt den Kopf. Er hat eine Pfeife vom Nachttisch genommen und zieht jetzt den linken Arm unter Maggie hervor, um Tabak hineinzustopfen und ihn anzuzünden. »Maggie, meine Liebste, ich höre diese Worte aus deinem falschen kleinen Mund, ich spüre dein Haar auf meiner Brust und würde dir gern glauben. Aber du kannst dich nicht über deinen Stand erheben, mein Schatz, obwohl du viele Eigenschaften besitzt, die jenseits deiner Berufung liegen … Du bist liebenswert und kultiviert, Maggie, und mit einer anderen Erziehung wärst du unschuldig und natürlich geblieben. Aber einer dauerhaften Verbindung mit mir bist du nicht würdig, Miss Fox.«
»Nicht würdig.« Maggies Augen, die mit Ausnahme der runden Brüste das Hübscheste an ihr sind, füllen sich mit Tränen.
»Ich bin für andere Dinge bestimmt, mein Kind«, fährt Dr. Kane fort. »Vergiss bitte nicht, dass ich meinen eigenen traurigen Eitelkeiten zu folgen habe, so wie du, deine Schwestern und deine Mutter den eurigen folgt. Ich bin meiner Berufung genauso treu ergeben wie du, mein armes Kind, der deinigen, falls man diesen spiritistischen Humbug überhaupt eine Berufung nennen mag. Erinnere dich also wie an einen Traum daran, dass
ein Dr. Kane der arktischen Meere die Maggie Fox des spiritistischen Tischerückens geliebt hat.«
Crozier erwacht im Dunkeln. Er weiß nicht, wo er ist oder wie spät es ist. In seiner Kajüte ist es stockfinster. Auch auf dem Schiff scheint alles dunkel. Die Planken ächzen – oder ist das nur der Widerhall seines eigenen Stöhnens in den letzten Stunden und Tagen? Es ist bitterkalt. Die warme Decke, die Jopson und Goodsir über ihn gebreitet haben, falls er sich das nicht nur eingebildet hat, ist inzwischen genauso feucht und gefroren wie das andere Bettzeug. Das Eis schiebt sich wimmernd gegen das Schiff. Und das Schiff antwortet jammernd mit zusammengepresstem Eichenholz und vor Kälte gebogenem Eisen.
Crozier möchte aufstehen, aber er fühlt sich zu schwach und zu hohl dafür. Er kann kaum die Arme bewegen. Wieder schlagen der Schmerz und die Visionen über ihm zusammen wie eine Sturzsee.
Da ist Robert McClure, einer der verschlagensten und ehrgeizigsten Männer, die Francis Crozier je gekannt hat – gleichfalls ein Ire, der sich in einer englischen Welt durchzusetzen sucht. McClure steht an Deck eines Schiffs im Eis. Überall um ihn herum erheben sich Klippen aus Eis und Fels, einige davon sechs- oder siebenhundert Fuß hoch. So etwas hat Crozier noch nie gesehen.
Da ist der alte John Ross auf dem Achterdeck eines kleinen Schiffs – eine Art Jacht –, das Kurs nach Osten hält. Nach Hause.
Da ist James Clark Ross, älter, dicker und unglücklicher, als ihn Crozier kennt. Die aufgehende Sonne blinzelt durch die eisumflorten Leinen unter dem Bugspriet, als sein Schiff aufs offene Meer hinaussteuert. Auch er kehrt nach England zurück.
Da ist Francis Leopold M’Clintock. Crozier weiß, dass dieser Mann schon unter dem Kommando von James Ross nach Franklin gesucht hat und dann in späteren Jahren in eigener Verantwortung
zurückgekehrt ist. Wie viele Jahre später? Wie weit
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