Terror
in der Zukunft?
Crozier sieht Bilder vorüberziehen wie in einer Laterna magica, aber er hört keine Antwort auf seine Fragen.
Wieder erkennt er M’Clintock, der mit seinen Leuten einen Schlitten zieht und sich dabei schneller und leichter fortbewegt, als es Leutnant Gore oder einem anderen Mann von Sir Johns und Croziers Schiffen je gelungen ist.
Nun steht M’Clintock vor einem Steinmal und liest eine Nachricht, die er soeben aus einem Messingzylinder gezogen hat. Ist das die Botschaft, die Gore vor sieben Monaten auf King-William-Land hinterlegt hat? Jedenfalls sehen das gefrorene Geröll und der graue Himmel hinter M’Clintock danach aus.
Plötzlich ist M’Clintock allein auf Eis und Geröll, sein Schlittentrupp kämpft sich mehrere Hundert Faden hinter ihm durch den wehenden Schnee. Er steht vor einem großen Boot, das auf einem riesigen, klobigen Schlitten aus Eisen und Eiche festgezurrt ist.
Der Schlitten sieht aus wie etwas, das Croziers Zimmermann Mr. Honey bauen würde. In jeder Einzelheit sorgfältig zusammengefügt, als müsste er ein Jahrhundert lang halten. Das Ding ist wuchtig und hat bestimmt ein Gewicht von sechshundert Pfund. Und das Boot obendrauf wiegt noch einmal achthundert Pfund.
Crozier kennt dieses Boot. Es ist eine der achtundzwanzig Fuß langen Pinassen der Terror . Er sieht, dass sie für eine Flussfahrt getakelt ist. Die zusammengerollten Segel sind dick mit Eis bedeckt.
Als wäre er hinter M’Clintock auf einen Fels geklettert und würde ihm über die Schulter schauen, erblickt Crozier zwei Skelette. Die Zähne in den beiden Schädeln scheinen M’Clintock und Crozier anzufunkeln. Eines der Skelette ist nur noch ein
Haufen angenagter Knochen, die im Bug wahllos aufeinanderliegen. Über den Knochen hat sich Schnee angesammelt.
Das andere Skelett ist unversehrt und voll bekleidet mit den Fetzen eines Offiziersmantels und mehreren Schichten warmer Plünnen. Auf dem Schädel befinden sich Überreste einer Mütze. Dieses Skelett sitzt hingebreitet auf der achteren Ruderbank, die Knochenhände an den Dollborden, in Griffnähe die zwei dort lehnenden doppelläufigen Schrotflinten. Zu den mit Stiefeln bekleideten Füßen der Gestalt liegen Haufen von Wolldecken und Segeltuchgewändern und ein mit Schrotpatronen gefüllter Rupfensack. Zwischen den Stiefeln des Toten stapeln sich auf dem Boden der Pinasse wie ein Piratenschatz, den man zählen, an dem man sich weiden möchte, fünf Golduhren und dreißig oder vierzig Pfund einzeln eingewickelter Schokoladentafeln. Neben der Leiche befinden sich auch sechsundzwanzig Teile Silberbesteck. Auf den verschiedenen Löffeln, Teelöffeln und Gabeln erkennt Crozier wie M’Clintock verschiedene persönliche Signets: die Wappen von Sir John Franklin, Kapitän Fitzjames, sechs anderen Offizieren und von Crozier. Außerdem bemerkt er Schüsseln und zwei silberne Servierplatten mit Gravur, die aus Schnee und Eis hervorlugen.
Auf dem Pinassenboden zwischen den zwei Skeletten breitet sich eine schwindelerregende Ansammlung von Krimskrams aus, der Crozier durch eine mehrere Zoll dicke Schneedecke entgegenschimmert: zwei Rollen Bleifolie, eine Bootsabdeckung aus Segeltuch, acht Paar Stiefel, zwei Sägen, vier Feilen, Nägel sowie zwei Bootsmesser neben dem Schrotpulversack.
Außerdem entdeckt Crozier neben dem bekleideten Gerippe Riemen, zusammengefaltete Segel und Zwirnrollen. Mehr in Richtung des Haufens verstümmelter Knochen im Bug liegen Handtuchstapel, Seifenstücke, mehrere Kämme, eine Zahnbürste und ein Paar handgefertigte Hausschuhe, nur wenige Zoll von den verstreuten Zehen- und Mittelfußknochen entfernt, sowie
sechs Bücher: fünf Bibeln und »Der Landprediger von Wakefield«, der im Moment in einem Regal in der Großen Messe der Terror steht.
Crozier würde gern die Augen schließen, aber er kann nicht. Er möchte fliehen vor dieser Vision, vor all diesen Visionen, aber er kann sie nicht steuern.
Plötzlich scheint Francis Leopold M’Clintocks irgendwie vertrautes Gesicht einzufallen, zu schmelzen und sich dann wieder zusammenzufügen, zum Antlitz eines jüngeren Mannes, den Crozier nicht kennt. Alles andere bleibt unverändert. Der junge Mann, ein gewisser Leutnant William Hobson, dessen Namen Crozier jetzt weiß, ohne zu begreifen, woher, steht an derselben Stelle und starrt mit dem gleichen Ausdruck ungläubigen Grauens in das Boot wie vorher M’Clintock.
Ohne jede Vorwarnung sind das Boot und die Skelette auf einmal
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