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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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verschwunden, und Crozier liegt in einer Eishöhle neben der nackten Sophia Cracroft.
    Nein, es ist nicht Sophia. Blinzelnd spürt Crozier, wie Memo Moiras zweites Gesicht wie eine fiebernde Faust aus seinem schmerzenden Gehirn hervorbricht. Jetzt erkennt er, dass er nackt neben der nackten Lady Silence liegt. Sie befinden sich umgeben von Pelzen auf einer Art Schlafstatt aus Eis oder Schnee. Die geschwungene Decke der Höhle besteht aus Eisblöcken. Lady Silence’ Brüste sind braun, ihr Haar ist lang und rabenschwarz. Sie hat sich mit dem Ellbogen auf ein Fell gestützt und betrachtet Crozier voller Ernst.
    Träumst du meine Träume? , fragt sie, ohne die Lippen zu bewegen und den Mund zu öffnen. Er versteht sie, obwohl sie nicht Englisch spricht. Träume ich deine?
    Dann folgt der schrecklichste Alptraum.
    Ein Mann, eine Mischung aus M’Clintock und jemandem mit dem Namen Hobson, blickt nicht mehr auf das offene Boot mit den zwei Skeletten, sondern er beobachtet den jungen Francis
Rawdon Moira Crozier, wie er mit seiner hexenhaften Papistengroßmutter Memo Moira eine katholische Messe besucht.
    Diese Tat war eines der größten Geheimnisse in Croziers Leben. Dass er nicht nur mit Memo Moira zu diesem verbotenen Gottesdienst gegangen war, sondern an der ketzerischen katholischen Eucharistie teilgenommen hatte, an der viel geschmähten und geächteten heiligen Kommunion.
    Die M’Clintock-Hobson-Gestalt steht wie ein Messdiener daneben, als sich der zitternde Crozier – abwechselnd Kind und Mann von über fünfzig Jahren – der Altarschranke nähert, niederkniet, den Kopf zurücklegt, den Mund öffnet und die Zunge vorstreckt, um die verbotene Hostie zu empfangen, den Leib Christi, der für alle anderen Menschen in Croziers Familie, Dorf und Leben nichts weiter ist als eine Form von transsubstanziellem Kannibalismus.
    Doch etwas stimmt nicht. Von dem grauhaarigen Priester, der in seinen weißen Gewändern vor ihm aufragt, tropft Wasser auf den Boden, auf die Altarschranke und auf Crozier.
    Dieser Priester ist selbst für die Sichtweise eines Kindes zu groß – riesig, muskulös und massig wirft er einen tiefen Schatten über den knienden Crozier. Es ist kein Mensch.
    Crozier ist nackt, als er die Augen schließt und die Zunge ausstreckt, um das Sakrament zu empfangen.
    Der Priester, der sich tropfend über ihn wölbt, hat keine Hostie in der Hand. Er hat auch keine Hände. Stattdessen beugt sich die Erscheinung über die Altarschranke, ganz nah an ihn heran, und öffnet ihren unmenschlichen Rachen, als wäre Crozier selbst das zu verschlingende Brot.
    »Jesus Christus, Allmächtiger im Himmel«, flüstert die M’Clintock-Hobson-Gestalt.
    »Jesus Christus, Allmächtiger im Himmel«, flüstert Kapitän Francis Crozier seinerseits.
    »Er ist wieder bei Bewusstsein«, sagt Goodsir zu Jopson.

    Crozier stöhnt.
    Der Arzt wendet sich ihm zu. »Sir, können Sie sich aufsetzen? Sind Sie imstande, die Augen zu öffnen und sich aufzusetzen? Sehr gut, Kapitän Crozier.«
    »Welches … Datum haben wir heute?«, krächzt Crozier. Der schwache Schimmer in der offenen Tür und der noch schwächere Schimmer von seiner ganz nach unten gedrehten Öllampe treffen seine empfindlichen Augen wie Explosionen aus gleißendem Licht.
    »Heute ist Dienstag, der 11. Januar, Kapitän«, antwortet der Steward und fügt dann hinzu: »Im Jahr Unseres Herrn 1848.«
    »Sie waren eine ganze Woche lang krank«, bemerkt der Arzt. »In den letzten Tagen glaubte ich schon, Sie nicht retten zu können.« Goodsir reicht ihm ein wenig Wasser zum Trinken.
    »Ich habe geträumt«, bringt Crozier mühsam hervor, nachdem er einige Tropfen eiskaltes Wasser geschluckt hat. Er kann seinen eigenen Gestank in dem Klumpen aus eisigem Bettzeug riechen.
    »Sie haben in den letzten Stunden sehr laut gestöhnt«, erwidert Goodsir. »Können Sie sich noch an etwas aus Ihren Fieberträumen erinnern?«
    Crozier erinnert sich nur noch an das Gefühl schwerelosen Schwebens, verbunden mit der furchtbaren Bedrückung und Heiterkeit von Visionen, die sich bereits verflüchtigt haben wie Nebelschwaden bei starkem Wind. »Nein«, sagt er schließlich. »Mr. Jopson, bitte bringen Sie mir heißes Wasser für meine Toilette. Vielleicht müssen Sie mir beim Rasieren helfen. Dr. Goodsir …«
    »Ja, Sir?«
    »Hätten Sie bitte die Freundlichkeit, nach vorn zu gehen und Mr. Diggle zu sagen, dass sein Kapitän heute Morgen ein sehr großes Frühstück möchte.«
    »Es ist

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