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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sechs Glasen der Abendwache, Sir.«

    »Trotzdem möchte ich ein großes Frühstück. Zwieback. Er soll nach Kartoffeln schauen. Kaffee. Irgendeine Art von Schweinefleisch  – Speck, falls er welchen hat.«
    »Aye aye, Sir.«
    »Noch etwas, Dr. Goodsir«, ruft Crozier dem schon in der Tür stehenden Arzt nach. »Teilen Sie bitte Leutnant Little mit, er möge mit einem Bericht über die Woche, die ich verpasst habe, nach achtern kommen und mir mein … Eigentum mitbringen.«

28
Peglar
    70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
29. JANUAR 1848
     
     
     
    H arry Peglar hatte es so eingerichtet, dass er an dem Tag, als die Sonne zurückkehrte, die Aufgabe erhielt, eine Nachricht zur Erebus zu bringen. Sofern es in dieser Zeit überhaupt einen Anlass zum Feiern geben konnte, wollte er diesen Tag mit jemandem feiern, den er liebte. Mit jemandem, der ihm nahestand wie kein anderer.
    Der Unteroffizier Harry Peglar war Vortoppmann der Terror und hatte damit den Befehl über die sorgfältig ausgewählten Toppsgasten, die am hellem Tag und in dunkler Nacht, bei Sturm und schwerem Seegang auf den höchsten Rahen das obere Tauwerk und die Bramsegel bedienen mussten. Diese Position erforderte Kraft, Erfahrung, Entschlossenheit und vor allem Mut, und für all diese Eigenschaften wurde Harry Peglar respektiert. Der inzwischen Vierzigjährige hatte sich nicht nur Hunderte von Malen vor der Besatzung der Terror bewährt, sondern davor schon auf einem Dutzend anderer Schiffe, auf denen er im Laufe seiner langen Zeit auf See im Einsatz war.
    Bis zu seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr war Harry Peglar Analphabet gewesen. Doch jetzt war das Lesen seine geheime Freude, und auf dieser Reise hatte er bereits mehr als die
Hälfte der tausend Bände in der Großen Messe der Terror verschlungen. Einem bescheidenen Offizierssteward auf dem Vermessungsschiff HMS Beagle hatte er es zu verdanken, dass er lesen und schreiben lernte, und derselbe Steward hatte Harry Peglar auch dazu gebracht, über sich und die Bedeutung seiner Existenz als Mensch nachzudenken.
    Dieser Steward war John Bridgens, der inzwischen mit Abstand älteste Mann der Expedition. Als die Schiffe in England in See gestochen waren, hatte in den Backschaften der Erebus und der Terror der Witz die Runde gemacht, dass der einfache Subalternoffizierssteward Bridgens zwar genauso bejahrt war wie Sir John, aber zwanzigmal so weise. Zumindest Peglar war sich sicher, dass das stimmte.
    Unter dem Rang eines Kapitäns oder Admirals wurden ältere Seeleute nur selten für Forschungsfahrten der Royal Navy angeheuert, und die beiden Mannschaften nahmen mit einiger Belustigung zur Kenntnis, dass die Ziffern von John Bridgens’ Alter auf der offiziellen Musterrolle – entweder aus Versehen oder von einem Zahlmeister mit Sinn für Humor – vertauscht und mit »26« eingetragen worden waren. Der grauhaarige Bridgens hatte sich viele Witze über seine angebliche Jugend, Unreife und sexuelle Unermüdlichkeit anhören müssen. Doch der stille Steward hatte nur gelächelt und nichts gesagt.
    Es war Harry Peglar, der sich auf der HMS Beagle während einer von Dezember 1831 bis Oktober 1836 dauernden Vermessungsreise unter Kapitän FitzRoy um den damals noch jüngeren Steward bemüht hatte. Peglar war dem Leutnant John Lort Stokes von dem mit einhundertzwanzig Kanonen bestückten Linienschiff der ersten Klasse HMS Prince Regent auf die bescheidene Beagle gefolgt. Diese war nur eine zum Vermessungsschiff umgebaute Zehn-Kanonen-Brigg der Cheerokee-Klasse und wäre für einen ehrgeizigen jungen Toppsgast wie Peglar normalerweise kaum erste Wahl gewesen. Doch Harry interessierte sich
schon damals für wissenschaftliche Vermessung und Forschung, und in der Tat wurde die Fahrt auf der kleinen Beagle in vieler Hinsicht zu einer unvergesslichen Bildungsreise für ihn.
    Der Steward Bridgens war zu dieser Zeit ungefähr acht Jahre älter als Peglar jetzt – Ende vierzig –, aber schon damals als der klügste und belesenste Unteroffizier der gesamten Flotte bekannt. Bekannt war er außerdem als Sodomit, eine Tatsache, die den vierundzwanzigjährigen Peglar nicht im Geringsten kümmerte. In der Royal Navy gab es zwei Arten von Sodomiten: diejenigen, die ihre Befriedigung nur an Land suchten und ihrer Neigung nie auf See nachgingen, und diejenigen, die auch auf See bei ihren Gewohnheiten blieben und dabei oft junge Burschen verführten, an denen es auf Schiffen der Royal Navy nicht

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