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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der Mutter, angefangen bei den dunklen Augenbrauen über den strengen Haarknoten bis hin zur beginnenden Stirnfalte.
    In dem Spalt zwischen den staubigen Vorhängen zuckt ein Blitz.
    Die Mutter und ihre beiden Töchter fassen sich an den Händen. Crozier bemerkt, dass das Spitzendeckchen auf dem runden Eichentisch vor Alter vergilbt ist. Alle drei haben die Augen geschlossen. Die Flamme der einzigen Kerze erzittert vom Donner.
    »Ist jemand da?« Die Stimme der fünfzehnjährigen Margaret ist fest.
    Ein krachendes Pochen. Kein Donner, sondern ein Schlag wie von einem Hammer auf Holz. Alle Hände sind auf dem Tisch.
    »Mein Gott!« In ihrer Angst würde sich die Mutter offensichtlich am liebsten die Hände vor den Mund klatschen. Ihre zwei Töchter halten sie fest, verhindern, dass sie den Kreis aufhebt. Das Gezerre bringt den Tisch kurz ins Wanken.
    »Bist du heute unser Führer?«, fragt Margaret.
    Ein lautes Pochen.
    »Bist du gekommen, um uns Schaden zuzufügen?«, will Katy wissen.
    Zweimal lautes Pochen.
    »Siehst du, Mutter?« Maggie schließt die Augen und flüstert in theatralischem Ton: »Führer, bist du der sanfte Mr. Splitfoot, der gestern Abend mit uns gesprochen hat?«
    POCH .
    »Danke, dass du uns gestern von deiner Existenz überzeugt hast.« Maggie spricht jetzt, als wäre sie in Trance. »Danke, dass du Mutter alles über uns Kinder gesagt hast, dass du unser Alter gesagt und sie an ihr sechstes Kind erinnert hast, das gestorben ist. Wirst du heute unsere Fragen beantworten?«
    POCH .

    »Wo befindet sich die Franklin-Expedition?«, meldet sich die kleine Katy.
    POCH POCH POCH poch poch poch poch POCH POCH poch POCH POCH  … Das Klopfen zieht sich über eine halbe Minute hin.
    »Ist das die spirituelle Telegraphie, von der ihr erzählt habt?«, flüstert die Mutter.
    »Psch!«, macht Maggie. Das Klopfen hört auf. Durch die Tischplatte und die Wollkleidung sieht Crozier, dass die beiden gelenkigen Mädchen abwechselnd mit den Zehen gegen den Boden schnalzen. Es ist ein erstaunlich lautes Geräusch für so kleine Zehen.
    »Mr. Splitfoot sagt …« Maggie stimmt eine Art Singsang an. »Sir John Franklin, von dem so viel in der Zeitung steht, weil ihn alle suchen, geht es gut, und er ist bei seinen Männern, denen geht es auch gut, aber sie haben viel Angst auf ihren Schiffen und im Eis in der Nähe einer Insel fünf Tagesreisen südlich von dem kalten Ort, wo sie ihr erstes Jahr verbracht haben.«
    »Da, wo sie sind, ist es sehr dunkel«, ergänzt Katy.
    Wieder klopft es.
    »Sir John lässt seiner Frau ausrichten, sie soll sich keine Sorgen machen«, übersetzt Maggie. »Er sagt, dass er sie bald sehen wird – wenn nicht mehr in diesem Leben, dann im nächsten.«
    »Mein Gott!«, entfährt es Mrs. Fox erneut. »Wir müssen unbedingt Mary Redfield und Mr. Redfield verständigen und natürlich auch Leah und Mr. und Mrs. Duesler und Mrs. Hyde und Mr. und Mrs. Jewell …«
    »Schschsch!«
    POCH POCH POCH poch poch poch poch poch POCH.
    »Der Führer will nicht, dass du sprichst, solange er uns leitet«, flüstert Katy.
    Stöhnend beißt Crozier in seinen Lederriemen. Die Krämpfe, die in seinem Darm begonnen haben, schütteln jetzt den ganzen
Körper. In einem Augenblick zittert er vor Kälte, im nächsten wirft er die Decke ab, weil ihm zu heiß ist.
    Vor ihm erscheint ein Mann, der wie ein Eskimo gekleidet ist: Pelztieranorak, hohe Fellstiefel und eine Kapuze wie die von Lady Silence. Doch dieser Mann steht auf einer hell erleuchteten Holzbühne. Es ist heiß. Hinter dem Mann zeigt eine bemalte Kulisse Eis, Eisberge und einen winterlichen Himmel. Um ihn herum ist weißer Kunstschnee verstreut. Vier in der Hitze fast zergehende Hunde, wie sie von Grönlandeskimos benutzt werden, liegen mit hängender Zunge auf der Bühne.
    Auf seinem weiß gesprenkelten Podium hält der Mann in dem schweren Anorak eine Rede. »Wenn ich mich heute an Sie wende, so nicht um des Geldes, sondern um der Menschlichkeit willen.« Der amerikanische Akzent des kleinen, bärtigen Mannes knirscht genauso schmerzhaft in Croziers Ohren wie der der beiden Mädchen und der ihrer Mutter. »Ich bin nach England gereist, um persönlich mit Lady Franklin zu sprechen. Sie wünscht mir alles Gute für unsere nächste Expedition – deren Zustandekommen natürlich vom Umfang der Spenden hier in Philadelphia und dann in New York und Boston abhängt – und sagt, dass sie es als Ehre betrachten würde, sollten die Söhne der Vereinigten

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