Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
marschieren. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir, würde ich gern eine vierte Möglichkeit vorschlagen.«
    Crozier machte es sehr wohl etwas aus. Obwohl er als Ire wenig Anlass zum Standesdünkel hatte, ging es ihm gegen den Strich, dass ihm ein Subalternoffizierssteward Ratschläge zu Entscheidungen erteilen wollte, von denen Leben und Tod der ganzen Besatzung abhingen. Trotzdem sagte er: »Schießen Sie los.«
    Der Steward trat an die achterliche Bücherwand und zog zwei große Bände heraus, die er mit einem dumpfen Geräusch auf den Tisch legte. »Ihnen ist natürlich bekannt, Sir, dass Sir John Ross und sein Neffe James 1829 auf ihrem Schiff Victory an der Ostküste von Boothia Felix entlanggesegelt sind – sie waren die Entdecker dieser Landmasse, die heute den Namen Boothia-Halbinsel trägt.«

    »Allerdings ist mir das bekannt, Mr. Bridgens«, entgegnete Crozier kalt. »Ich kenne Sir John und seinen Neffen Sir James sehr gut.« Nach fünf Jahren, die er gemeinsam mit James Clark Ross im Eis der Antarktis verbracht hatte, war das eher noch untertrieben ausgedrückt, wie Crozier fand.
    »Ja, Sir.« Bridgens nickte. »Dann sind Sie bestimmt auch mit den Einzelheiten dieser Expedition vertraut, Kapitän Crozier. Sie haben vier Winter im Eis verbracht. Im ersten Winter ist Sir John an der Ostküste von Boothia vor Anker gegangen und hat diese Stelle Felix Harbour genannt … Sie liegt östlich von unserer jetzigen Position.«
    »Waren Sie bei dieser Expedition dabei, Mr. Bridgens?« Crozier wollte, dass der Alte endlich zur Sache kam.
    »Nein, die Ehre hatte ich nicht, Sir. Aber ich habe diese beiden Bände gelesen, in denen Sir John seine Fahrt ausführlich schildert. Und ich habe mich gefragt, ob Sie die Zeit gefunden haben, das Gleiche zu tun.«
    Crozier spürte, wie das irische Blut in seinen Adern in Wallung geriet. Das Benehmen des alten Stewards grenzte schon an Unverschämtheit. »Natürlich habe ich mir die Bücher angesehen«, erwiderte er abweisend. »Aber in der Tat hatte ich nicht die Zeit, sie sorgfältig zu studieren. Wollen Sie auf etwas Bestimmtes hinaus, Mr. Bridgens?«
    Jeder andere, ob Offizier oder einfacher Matrose, hätte verstanden und sich mit einer tiefen Verbeugung aus der Großen Messe zurückgezogen, doch Bridgens schien die Verärgerung des Expeditionsleiters überhaupt nicht bemerkt zu haben. »Jawohl, Sir. Ich wollte darauf hinweisen, dass John Ross …«
    »Sir John«, unterbrach ihn Crozier. »Natürlich. Sir John Ross war in einer ganz ähnlichen Lage wie wir im Moment.«
    »Unsinn. Er und James waren mit der Victory an der Ostseite von Boothia eingeschlossen, Bridgens, genau an der Stelle, die wir
gern mit dem Schlitten erreichen würden, falls wir noch die Zeit und Kraft dazu haben. Das liegt Hunderte von Meilen im Osten.«
    »Ja, Sir, aber auf der gleichen Breite. Sicher, die Victory ist dank der Boothia-Halbinsel von diesem verfluchten Packeis verschont geblieben, das ununterbrochen aus dem Nordwesten herunterströmt. Aber sie war ganze drei Winter lang im Eis eingeschlossen. James Ross ist mit dem Schlitten Hunderte von Meilen nach Westen gefahren, quer durch Boothia, übers Eis, bis nach King-William-Land, das nur fünfundzwanzig Meilen südsüdöstlich von uns liegt. Er hat den Victory Point benannt – die Stelle mit dem Steinmal, zu der der bedauernswerte Leutnant Gore im letzten Sommer vor seinem Tod gefahren ist.«
    »Glauben Sie, ich weiß nicht, dass Sir James King-William-Land entdeckt und den Victory Point benannt hat?« Croziers Stimme bebte vor Zorn. »Bei dieser Expedition hat er auch den gottverdammten Nordpol entdeckt, Bridgens. Kein anderer hat in unserer Zeit solche Strecken mit dem Schlitten zurückgelegt wie Sir James.«
    »Gewiss, Sir.« Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des kleinen Stewards, und Crozier hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige versetzt. Der Kapitän wusste – hatte schon vor der Abreise gewusst  –, dass dieser Alte zumindest an Land als Sodomit bekannt war. Nach der abgewendeten Meuterei des Kalfaterersmaats Hickey hatte Crozier die Nase gestrichen voll von Sodomiten. »Ich wollte Sie nur an etwas erinnern, Kapitän Crozier. Nach drei Wintern im Eis und mit einer Besatzung, die genauso skorbutkrank war, wie es unsere im Sommer sein wird, hat Sir John erkannt, dass sie nie aus dem Eis freikommen werden. Er hat die Victory in zehn Faden tiefem Wasser vor der Ostküste von Boothia versenkt und ist dann mit seinen Leuten nach

Weitere Kostenlose Bücher