Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
einem Mund.

    Der Zweite Steuermann Henry Collins zögerte. »Ohne Waffen, Sir? Wir sollen da ohne Waffen runtergehen?«
    »Nehmen Sie Ihr Messer mit«, rief Fitzjames. »Ich hab die dabei.« Er hielt seine einschüssige Pistole hoch. »Halten Sie sich hinter mir. Leutnant Le Vesconte wird uns mit bewaffneten Leuten folgen und auch für uns Flinten mitbringen. Mr. Goodsir, Sie bleiben ebenfalls bei mir.«
    Goodsir nickte benommen. Er war dabei, seine Plünnen – oder die von jemand anderem – überzustreifen, und hatte sich wie ein Kind im linken Ärmel verheddert.
    Fitzjames, der nur eine zerrupfte Jacke über dem Hemd trug, nahm Des Voeux mit bloßen Händen eine Lampe ab und eilte die Treppe hinab. Von unten war ein lang anhaltendes, furchterregendes Krachen zu hören, als bräche irgendetwas durch Planken oder Schotten. Die Schreie waren verstummt.
    Goodsir fiel der Befehl des Kapitäns ein, bei ihm zu bleiben. Blindlings stolperte er den beiden Männern nach die dunkle Leiter hinunter und vergaß ganz, eine Lampe mitzunehmen. Auch seinen Koffer mit medizinischem Gerät und Verbandszeug hatte er nicht dabei. Brown und Dunn polterten hinterdrein, und Collins bildete fluchend die Nachhut.
    Das Orlop lag nur sieben Fuß tiefer als das Unterdeck, doch es war wie eine andere Welt. Goodsir hatte sich bisher nur selten hierher verirrt. Fitzjames und der Unterleutnant standen vor dem Niedergang und hielten die Laternen in die Höhe. Dem Arzt wurde klar, dass die Temperatur hier noch zwanzig Grad unter der auf dem Unterdeck liegen musste, wo sie aßen und schliefen – und selbst dort war sie inzwischen meistens unter dem Gefrierpunkt.
    Das Krachen hatte aufgehört. Fitzjames befahl Collins, das Fluchen einzustellen. Die sechs Männer verharrten schweigend im Kreis um die offene Luke, die zum Lastdeck hinunterführte. Alle bis auf Goodsir hatten eine Laterne dabei und
streckten sie jetzt nach vorn aus. Aber der schwache Lichtschein leuchtete nur wenige Fuß weit durch kalten, nebeligen Dunst. Wie goldene Ornamente wirbelte der Atem der Männer vor ihnen durch die Luft. Die hastigen Schritte, die über das Unterdeck stampften, schienen meilenweit entfernt.
    »Wer hat heute Nacht hier unten Dienst?«, flüsterte Fitzjames.
    »Mr. Gregory und ein Heizer«, erwiderte Des Voeux. »Cowie, glaube ich. Oder vielleicht doch Plater.«
    »Und der Zimmermann Weekes mit seinem Maat Watson«, zischte Collins aufgeregt. »Sie wollten die Nacht durcharbeiten, um die eingedrückte Schiffswand im vorlichen Kohlenverschlag zu reparieren.«
    Zu ihren Füßen ertönte ein Brüllen. Es war hundert Mal lauter und bestialischer als jeder Tierlaut, den Goodsir je vernommen hatte – sogar noch schlimmer als das Brüllen aus dem ebenholzschwarzen Gemach während der Silvesternacht. Es hallte von allen Planken, Eisenkrampen und Schotten auf dem Orlop wider. Goodsir war sich sicher, dass die Wachposten auf dem Hauptdeck es in der sturmdurchtosten Nacht gehört hatten, als stünde das Ungeheuer direkt hinter ihnen. Seine Hoden versuchten, hinauf in seinen Körper zu kriechen.
    Kein Zweifel, das Brüllen war aus dem Lastdeck gekommen. »Brown, Dunn, Collins«, befahl Fitzjames. »Sie laufen vor und sichern die vordere Luke. Des Voeux und Goodsir, Sie kommen mit mir.« Der Kapitän schob die Pistole in den Gürtel und kletterte mit hoch erhobener Laterne hinab in die pechschwarze Finsternis.
    Des Voeux eilte als Nächster die Treppe hinunter. Goodsir benötigte all seine Willenskraft, um sich nicht anzupinkeln. Nur überwältigende Scham bei der Vorstellung, den beiden nicht zu folgen, im Verein mit der Furcht, im Dunkeln allein gelassen zu werden, brachte den zitternden Arzt dazu, sich nun seinerseits in Bewegung zu setzen. Seine Arme, Hände und Beine waren so
empfindungslos wie Holz, doch er wusste, dass diese Taubheit nicht von den Temperaturen kam, sondern von der Angst.
    Am Fuß des Niedergangs stieß er auf den Kapitän und den Ersten Unterleutnant, die beide ihre Laternen weit vor sich hielten. Die schwarze Kälte hier fühlte sich für Goodsir noch dichter und schrecklicher an als die feindliche Arktis draußen. Fitzjames hielt seine Pistole mit gespanntem Hahn im Anschlag. Des Voeux hatte ein gewöhnliches Bootsmesser in der zitternden Hand. Alle warteten mit angehaltenem Atem.
    Stille. Das Krachen, Poltern und Schreien war verstummt.
    Goodsir hätte am liebsten selbst geschrien. Er spürte, dass etwas bei ihnen war, hier unten auf dem

Weitere Kostenlose Bücher