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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Eine Minute lang wusste er nicht, wo er war, dann fiel es ihm ein: Er befand sich in Sir Johns Großer Kajüte, die jetzt das Lazarett der Erebus war. Es war mitten in der Nacht. Alle Waltranlampen waren gelöscht worden, und das einzige Licht fiel durch die offene Tür zum Kajütgang herein. Goodsir war auf einer Pritsche eingeschlafen. Auf den anderen Pritschen schliefen sieben schwer an Skorbut erkrankte Männer und ein Matrose mit Nierensteinen. Diesem hatte er Opium verabreicht.
    Goodsir hatte geträumt, dass seine Patienten schreiend starben. Sie wurden dahingerafft, weil er sie nicht richtig behandelt hatte. Der als Anatom ausgebildete Goodsir verstand sich weniger gut als die drei toten Expeditionsärzte auf die Hauptaufgabe eines Arztes bei der Royal Navy: das Verteilen von Tabletten, Säften, Brechmitteln und Kräutern. Dr. Peddie hatte ihm einmal erklärt, dass die allermeisten dieser Heilmittel für die Beschwerden eines Seemanns völlig untauglich waren. Sie dienten nur dazu, auf rabiate Weise den Darm zu leeren. Doch je stärker das Abführmittel war, desto wirksamer erschien den Schiffsmaaten die
Behandlung. Es war mehr die Vorstellung medizinischer Hilfe, die zur Genesung der Seeleute beitrug. In den meisten Fällen, bei denen es nicht um chirurgische Eingriffe ging, heilte der Körper entweder von allein, oder der Patient starb.
    Und Goodsir hatte geträumt, dass sie alle mit Schreien auf den Lippen starben.
    Doch die Schreie waren real. Sie schienen von unten zu kommen.
    Goodsirs Gehilfe Henry Lloyd stürmte mit wehenden Hemdschößen ins Lazarett. Er trug eine Laterne, hatte aber keine Schuhe an. Anscheinend war er direkt aus seiner Hängematte gesprungen.
    »Was ist los?«, flüsterte Goodsir. Die Kranken auf ihren Pritschen waren durch die Schreie nicht geweckt worden.
    »Sie sollen sofort zum Kapitän am Hauptniedergang kommen.« Lloyd gab sich keine Mühe, die Stimme zu senken. Der junge Mann klang schrill und verschreckt.
    »Schsch. Was ist denn los, Henry?«
    »Das Wesen ist an Bord, Dr. Goodsir«, schrie Lloyd mit klappernden Zähnen. »Es ist unten. Es bringt die Maaten unten um.«
    »Pass hier auf die Kranken auf«, befahl Goodsir. »Wenn einer von ihnen aufwacht oder wenn es einem schlechter geht, holst du mich sofort. Und zieh dir deine Stiefel und die anderen Kleider an.«
    Goodsir bahnte sich einen Weg durch ein wildes Gedränge von Unteroffizieren, die aus ihren Kojen und Hängematten hochgefahren waren und sich hastig ihre Kleider überstreiften. Kapitän Fitzjames stand mit Le Vesconte an der geöffneten Luke, die zu den tiefer gelegenen Decks führte. Der Kapitän hatte eine Pistole in der Hand.
    »Mr. Goodsir, unten sind Verletzte. Sie kommen mit, wenn wir runtergehen, um sie raufzuholen. Sie müssen Ihre Plünnen anziehen.«

    Goodsir nickte stumm.
    Der Erste Unterleutnant Des Voeux kam vom Hauptdeck den Niedergang heruntergepoltert. Der kalte Luftzug, den er mitbrachte, verschlug Goodsir den Atem. Während der gesamten letzten Woche war die Erebus von einem Schneesturm und außerordentlich niedrigen Temperaturen von bis zu minus siebzig Grad heimgesucht worden. Der Arzt war außerstande gewesen, wie vereinbart seinen Pflichten auf der Terror nachzugehen. Seit der Sturm tobte, war die Verbindung zwischen den beiden Schiffen abgerissen.
    Des Voeux wischte sich den Schnee von seinen Plünnen. »Den drei Wachposten draußen ist nichts aufgefallen, Sir. Ich habe ihnen befohlen, sich bereitzuhalten.«
    Fitzjames nickte. »Wir brauchen Waffen, Charles.«
    »Heute Abend haben wir nur die drei Flinten an Deck ausgegeben«, erwiderte Des Voeux.
    Wieder drang ein Schrei aus der Dunkelheit nach oben. Goodsir konnte nicht erkennen, ob er vom Orlopdeck oder vom tieferen Lastdeck kam. Beide unteren Luken schienen offen zu sein.
    »Leutnant Le Vesconte«, bellte Fitzjames, »gehen Sie mit drei Männern durch den Schacht in der Offiziersmesse nach unten in die Spirituslast und reichen Sie uns so viele Büchsen und Flinten wie möglich herauf – natürlich auch Patronen, Pulver und Schrot. Ich will, dass jeder Mann hier auf dem Unterdeck eine Waffe bekommt.«
    »Aye aye, Sir.« Le Vesconte deutete auf drei Matrosen, und die vier verschwanden achteraus in der Dunkelheit.
    Fitzjames wandte sich wieder an Des Voeux. »Charles, zünden Sie die Laternen an. Wir gehen runter. Mr. Collins, kommen Sie. Mr. Dunn, Mr. Brown, Sie auch.«
    »Jawohl, Sir«, erwiderten der Kalfaterer und sein Maat wie aus

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