Terror
Goodsir, »wenn sich die Krankheit weiter so rasch verbreitet – außer wir kommen in nächster Zeit an frisches Fleisch.«
»Um wie viel früher?«, fragte Kapitän Fitzjames.
Ein Zögern lag in Goodsirs Stimme. »Nicht später als Mitte April?«
Die Männer blickten sich durch den Tabakrauch an. Höchstens noch zwei Monate.
In festem Ton fuhr der Arzt fort: »Vorausgesetzt, unsere Lage verschlechtert sich nicht weiter.«
»Kann sie denn noch schlechter werden?«, warf der Zweite Leutnant Hodgson ein.
Der junge Mann hatte seine Äußerung offensichtlich als Scherz gemeint, um die Stimmung aufzulockern, doch er erntete nur bitterböse Blicke.
Crozier wollte nicht, dass der Kriegsrat mit diesem Missklang zu Ende ging. Die um den Tisch versammelten Offiziere, Deckoffiziere und Unteroffiziere hatten sich ihre Handlungsmöglichkeiten klargemacht und waren zu der gleichen Erkenntnis gelangt wie Crozier schon vor längerer Zeit: Die Aussichten waren trostlos. Aber der Kapitän wollte nicht, dass die Moral der Expeditionsführer noch tiefer sank.
Deshalb schlug er nun einen fast heiteren Konversationston an. »Ach übrigens, Kapitän Fitzjames hat beschlossen, am nächsten Sonntag auf der Erebus die heilige Messe zu lesen. Er wird eine ganz besondere Predigt halten, auf die ich schon sehr gespannt bin. Doch wie mir zu Ohren gekommen ist, wird es sich nicht um eine Lesung aus dem Buch Leviathan handeln. Und da die Schiffsleute dann sowieso schon beisammen sind, habe ich mir gedacht, dass an diesem einen Tag volle Essens- und Grogrationen ausgegeben werden.«
Die Anwesenden quittierten diese Ankündigung mit lächelnden Gesichtern und Scherzworten. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, der Mannschaft von dieser Besprechung auch gute Nachrichten bringen zu können.
Fitzjames zog die Augenbraue leicht nach oben. Die »besondere Predigt« und die heilige Messe in fünf Tagen waren ihm natürlich völlig neu. Doch Crozier fand, dass es dem abgemagerten Kapitän nur guttun würde, sich mit etwas anderem als seinen düsteren Gedanken zu beschäftigen und zur Abwechslung wieder einmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Fitzjames deutete ein Nicken an.
»Also gut, meine Herren.« Croziers Ton wurde wieder offizieller. »Dieser Gedankenaustausch war sehr hilfreich, und ich werde mich auf dieser Grundlage mit Kapitän Fitzjames beraten. Es kann sein, dass wir mit dem einen oder anderen von Ihnen noch einmal unter vier Augen sprechen, bevor wir uns auf ein bestimmtes Vorgehen festlegen. Jetzt möchte ich unsere Gäste von der Erebus nicht länger aufhalten, damit sie auf dem Rückmarsch noch ein wenig die Mittagssonne genießen können. Gott mit Ihnen, meine Herren. Wir sehen uns am Sonntag.«
Während die Männer nacheinander die Große Messe verließen, beugte sich Fitzjames ganz nah an Croziers Ohr und flüsterte: »Vielleicht muss ich mir doch noch das Buch Leviathan von dir ausleihen, Francis.« Dann folgte er den anderen nach vorn, um sich mühsam die kalten Plünnen überzustreifen.
Auch die Offiziere der Terror gingen wieder an ihre Arbeit. Kapitän Crozier blieb auf seinem Stuhl am Kopf der Tafel sitzen und ließ sich das Besprochene durch den Kopf gehen. Das Überlebensfeuer brannte heftiger denn je in seiner Brust.
»Sir?«
Crozier blickte auf. Es war der alte Bridgens von der Erebus , der den erkrankten Kapitänssteward seines Schiffs vertrat. Er hatte Gibson geholfen, die Zinnteller und -tassen zu reinigen.
»Ich brauche Sie nicht mehr, Bridgens«, sagte Crozier. »Gehen Sie ruhig mit den anderen. Gibson erledigt das schon. Sie sollen ja nicht allein zur Erebus zurückmarschieren.«
»Jawohl, Sir«, erwiderte der Subalternoffizierssteward. »Aber ich wollte Sie um eine kurze Unterredung bitten, Kapitän Crozier.«
Crozier nickte. Er forderte den Steward nicht auf, sich zu setzen. In seiner Gegenwart hatte er sich noch nie wohlgefühlt. Der Mann war viel zu alt für eine Entdeckungsfahrt der Royal Navy. Wenn es nach Crozier gegangen wäre, wäre Bridgens nie angeheuert und gewiss nicht mit einem Alter von »26« in die Musterrolle eingetragen worden. Aber Sir John fand es amüsant, einen Steward an Bord zu haben, der älter war als er, und damit war die Sache entschieden.
»Kapitän Crozier, ich habe das Gespräch und die drei Möglichkeiten gehört, die darin angeklungen sind: auf den Schiffen bleiben und auf Tauwetter hoffen, nach Süden zum Fischfluss ziehen oder übers Eis nach Boothia
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