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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Norden zum Fury Beach gezogen, wo Kapitän Parry Vorräte und Boote hinterlassen hatte.«
    Crozier erkannte, dass er den Mann zwar aufhängen lassen,
aber nicht zum Schweigen bringen konnte. Stirnrunzelnd hörte er ihm zu.
    »Sie erinnern sich bestimmt noch, dass Parry an diesem Ort Proviant und Boote gelagert hat. Mit diesen Booten ist Ross an der Küste entlang nach Cape Clarence gefahren, wo sie von den Klippen nach Norden über die Barrow-Straße und den Lancaster-Sund blicken konnten. Er hatte gehofft, Walschiffe zu sehen, aber der Sund war eine einzige Eisfläche. Der Sommer damals war so schlimm wie unsere letzten zwei Sommer und wahrscheinlich auch unser nächster.«
    Crozier wartete. Zum ersten Mal seit seiner Leidenszeit im frühen Januar sehnte er sich nach einem Glas Whiskey.
    »Sie sind wieder zurück zum Fury Beach und haben dort zum vierten Mal überwintert. Die Männer waren dem Tod durch Skorbut nah. Im nächsten Juli … 1833, vier Jahre nachdem sie in das Eis dort vorgedrungen waren … sind sie in kleinen Booten nach Norden und dann nach Osten in den Lancaster-Sund gefahren. Am Morgen des 25. August hat James Ross – inzwischen Sir James – ein Segel gesichtet. Sie haben gewinkt, gerufen und Raketen abgefeuert. Aber das Segel ist am Horizont verschwunden.«
    »Ich erinnere mich, dass Sir James mal so etwas erwähnt hat«, bemerkte Crozier trocken.
    »Ja, Sir, das kann ich mir vorstellen.« Wieder hatte Bridgens sein pedantisches Lächeln aufgesetzt. »Dann hat sich der Wind gelegt, die Männer haben sich in die Riemen gestemmt, dass es nur so geraucht und gedampft hat, und sie haben den Walfänger eingeholt. Es war die Isabella , dasselbe Schiff, das Sir John schon 1818 befehligt hatte. Sir John und Sir James haben mit der Mannschaft der Victory vier Jahre im Eis verbracht, und zwar auf unserer Breite, Sir. Und nur ein Mann ist gestorben – der Zimmermann Mr. Thomas, der eine dyspeptische Veranlagung hatte.«

    »Worauf wollen Sie hinaus?« Croziers Stimme hatte jeden Ausdruck verloren. Er war sich nur allzu sehr der Tatsache bewusst, dass unter seinem Kommando auf dieser Expedition schon über ein Dutzend Männer den Tod gefunden hatten.
    »Am Fury Beach gibt es noch immer Boote und Vorräte«, erwiderte Bridgens. »Und ich vermute, dass jede Rettungsmannschaft, die im kommenden Sommer nach uns suchen wird, dort weitere Boote und Vorräte hinterlassen wird. Wenn es darum geht, Ausrüstung für uns und zukünftige Rettungsexpeditionen zu lagern, wird die Admiralität zuallererst an diesen Ort denken. Dafür hat Sir John mit seinem Überleben gesorgt.«
    Crozier seufzte. »Gehört es zu Ihren Gewohnheiten, wie die Admiralität zu denken, Subalternoffizierssteward Bridgens?«
    »Manchmal ja«, antwortete der Alte. »Diese Angewohnheit begleitet mich schon seit Jahrzehnten, Kapitän Crozier. Die Nähe zu Narren zwingt einen nach einiger Zeit, wie ein Narr zu denken.«
    »Das wäre alles, Steward Bridgens«, fauchte Crozier.
    »Sehr wohl, Sir. Aber lesen Sie die beiden Bände. Sir John stellt ausführlich dar, wie man im Eis überlebt. Wie man den Skorbut bekämpft. Wie man Eskimos findet, die einem beim Jagen helfen. Wie man aus Schneeblöcken kleine Häuser baut …«
    »Das wäre alles , Steward!«
    »Jawohl, Sir.« Bridgens salutierte und wandte sich zum Kajütgang, doch zuvor schob er Crozier noch die beiden dicken Folianten hin.
    Der Kapitän saß noch zehn Minuten allein in der eiskalten Großen Messe. Er hörte, wie die Leute von der Erebus den Hauptniedergang hinaufpolterten und oben über das Deck stapften. Er vernahm die Rufe der Terror -Offiziere, die sich von ihren Kameraden verabschiedeten und ihnen einen sicheren Heimmarsch durchs Eis wünschten. Dann wurde es allmählich leiser an Bord, nur im Mannschaftslogis, wo sich die Seeleute
nach dem Mittagessen und ihrer Grogration aufhielten, herrschte noch Geschäftigkeit. Die Tische wurden hochgezogen. Crozier hörte, wie die Offiziere die Treppe herunterstiegen, ihre Plünnen ablegten und sich nach achtern wandten, um nun auch zu Mittag zu speisen. Sie klangen munterer als noch beim Frühstück.
    Schließlich erhob er sich. Seine Knochen waren ganz steif vor Kälte. Er nahm die zwei schweren Bände und stellte sie sorgfältig an ihren Platz in der Bücherwand zurück.

31
Goodsir
    70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
6. MÄRZ 1848
     
     
     
    D er Wundarzt wurde von Rufen und Schreien aus dem Schlaf gerissen.

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