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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Lastdeck. Etwas Großes. Und kein Mensch. Vielleicht nur zwölf Fuß entfernt, gleich hinter den kümmerlichen Lichtkreisen der Laternen.
    Außerdem nahm der Arzt einen starken Kupferdunst wahr, den er schon viele Male gerochen hatte. Frisches Blut.
    »Hier entlang«, flüsterte der Kapitän und schritt auf dem schmalen Steuerborddurchgang achteraus.
    Auf den Kesselraum zu.
    Die Öllampe, die dort immer brannte, war erloschen. Der einzige Lichtschein, der durch die offene Tür drang, war das orangerote Flackern von den brennenden Kohlestücken in der Feuerung.
    »Mr. Gregory?« Fitzjames’ Ruf war so laut, dass Goodsir erneut kurz davor war, sich in die Hose zu machen. »Mr. Gregory?«
    Keine Antwort. Von seiner Position im Durchgang aus konnte der Arzt nur einen Teil des Bodens und verschüttete Kohle im Kesselraum erkennen. In der Luft hing ein Geruch wie von gebratenem Rindfleisch. Goodsir merkte, wie ihm unwillkürlich das Wasser im Mund zusammenlief.
    »Sie warten hier«, befahl Fitzjames dem Unterleutnant und dem Schiffsarzt. Das Messer in der erhobenen Hand blickte Des Voeux erst nach vorn und dann nach achtern und schwang die
Laterne im Kreis, um irgendetwas jenseits des kleinen Lichtkreises zu erkennen. Goodsir konnte nur dastehen und die eiskalten Hände zu Fäusten ballen. Obwohl er schier unerträgliche Angst hatte, ließ das fast vergessene Aroma von gebratenem Fleisch seinen Magen knurren.
    Fitzjames machte einen Schritt durch die Tür und verschwand im Kesselraum.
    Fünf, zehn ewige Sekunden lang war nichts zu hören. Dann hallte die leise Stimme des Kapitäns von den Metallwänden wider. »Mr. Goodsir, kommen Sie bitte herein.«
    In dem Raum waren zwei Tote. Einer von ihnen war als der Maschinist John Gregory erkennbar. Sein Bauch war aufgeschlitzt. Die Leiche lag in einer Ecke vor dem achterlichen Schott, und überall im Raum waren die grauen Fäden und Fasern seiner Eingeweide verstreut wie Luftschlangen. Goodsir musste aufpassen, wo er hintrat. Der andere Tote, ein untersetzter Mann in dunkelblauer Wolljacke, lag auf dem Bauch, die Arme mit nach oben gekehrten Handflächen an der Seite, der Kopf und die Schultern in der Kesselfeuerung.
    »Helfen Sie mir, ihn herauszuziehen«, sagte Fitzjames.
    Der Arzt packte das linke Bein und die glimmende Jacke des Toten, der Kapitän das andere Bein und den rechten Arm, und zusammen zerrten sie ihn aus den Flammen. Der offene Mund des Mannes blieb kurz am unteren Rand des Metallrosts hängen, löste sich dann aber mit einem Geräusch spröde zerbröckelnder Zähne.
    Goodsir drehte den Körper um, während Fitzjames seine Jacke auszog und damit die Flammen im Gesicht und in den Haaren des Toten ausschlug.
    Harry Goodsir hatte das Gefühl, nur aus weiter Ferne an dem Geschehen teilzuhaben. Mit kühler Sachlichkeit nahm der Arzt in ihm zur Kenntnis, dass die schwache Kohlenglut in der Feuerstätte genügt hatte, um dem Mann die Augen wegzuschmelzen,
Ohren und Nase zu verbrennen und seinem Gesicht die Beschaffenheit eines brodelnden, zu stark gebackenen Himbeerkuchens zu verleihen.
    »Wissen Sie, wer das ist, Mr. Goodsir?«
    »Nein.«
    »Es ist Tommy Plater«, ächzte Des Voeux, der in der Tür stand. »Ich erkenne ihn an der Strickjacke und an dem Ohrring, der in seinen Kiefer geschmolzen ist.«
    »Gottverdammt, Unterleutnant Des Voeux«, fauchte Fitzjames, »Sie sollen draußen Wache halten.«
    »Aye aye, Sir.« Des Voeux trat wieder hinaus. Würgende Geräusche waren zu hören.
    Der Kapitän wandte sich an den Arzt. »Stellen Sie bitte fest …«
    Aus Richtung des Bugs drang plötzlich ein Krachen und Splittern und dann ein gewaltiges dumpfes Poltern. Es klang, als wäre das Schiff auseinandergebrochen.
    Im Nu hatte Fitzjames die Laterne gepackt und war durch die Tür verschwunden, ohne seine brennende Jacke mitzunehmen. Goodsir und Des Voeux folgten ihm eilig, vorbei an verstreuten Fässern und zertrümmerten Kisten, und quetschten sich zwischen den schwarzen Eisentanks, die die restlichen Süßwasservorräte der Erebus enthielten, und den wenigen noch verbliebenen Kohlensäcken durch.
    Als sie den schwarzen Eingang zu einem Kohlenverschlag passierten, bemerkte Goodsir aus dem Augenwinkel einen unbekleideten menschlichen Arm, der über den Eisenrand des Türrahmens hinausragte. Er hielt an und bückte sich, um mehr Einzelheiten ausmachen zu können, doch schon hatte sich das Licht entfernt, weil der Kapitän und der Unterleutnant weitergelaufen waren. Mit

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