Terror
Unterdeck erreichte. Der Steuermannsmaat musste sich seitwärts drehen, um Collins durch den engen Kajütgang zu tragen. Hinter Goodsir reichte eine Kette von Matrosen Eimer vom Hauptdeck herab, während andere im Mannschaftslogis Schnee auf die dampfenden und zischenden Planken um den Herd und die Kohlenschütte
warfen. Goodsir wusste, wenn das Deck dort Feuer fing, war das Schiff verloren.
Mit bleichem Gesicht und weit aufgerissenen Augen trat Henry Lloyd aus dem Lazarett.
»Sind meine Instrumente bereitgelegt?«, wollte Goodsir wissen.
»Ja, Sir.«
»Auch die Knochensäge?«
»Ja.«
»Gut.«
»Gut.«
Downing hievte den bewusstlosen Collins auf den Operationstisch in der Mitte des Lazaretts.
Goodsir bedankte sich bei dem Steuermannsmaat. »Könnten Sie vielleicht noch ein oder zwei Matrosen holen, um die anderen Kranken hier in freie Kojen zu bringen? Das wäre sehr freundlich.«
»Jawohl, Sir.«
»Lloyd, du läufst vor zu Mr. Wall und seinen Gehilfen. Sag ihnen, dass wir so viel heißes Wasser vom Herd brauchen, wie er entbehren kann. Aber zuerst drehst du noch die Öllampen auf. Dann kommst du wieder her. Du musst mir zur Hand gehen und mir mit der Laterne leuchten.«
In der nächsten Stunde war Dr. Harry D. S. Goodsir so beschäftigt, dass das Lazarett hätte in Flammen aufgehen können, ohne dass er etwas anderes bemerkt hätte als das für seine Arbeit günstige zusätzliche Licht.
Er entkleidete Collins’ Oberkörper. Die offenen Wunden dampften in der eisigen Luft. Den ersten Topf heißes Wasser goss er kurzerhand darüber aus, um sie ein wenig zu säubern. Allerdings tat er dies weniger aus hygienischen Gründen, sondern mit der Absicht, das Blut wegzuspülen, um erkennen zu können, wie tief die Verletzungen waren. Als er erfasst hatte, dass die Klauenwunden nicht unmittelbar lebensbedrohlich waren, wandte er
sich der Schulter, dem Hals und dem Gesicht des Zweiten Steuermanns zu.
Die Verletzung an der Schulter war sauber. Es war, als wäre Collins’ Arm mit einem riesigen Fallbeil abgetrennt worden. Goodsir, der an Fabrik- und Schiffsunfälle gewöhnt war, bei denen Gliedmaßen zerfleischt und in Fetzen gerissen wurden, betrachtete die Wunde fast ein wenig ehrfürchtig.
Collins drohte zu verbluten, auch wenn die Flammen die klaffende Öffnung in der Schulter ein wenig ausgebrannt hatten. Das hatte ihm das Leben gerettet. Bisher.
Goodsir konnte den weiß schimmernden Schulterknochen sehen. Andere Knochenreste, die er hätte wegschneiden müssen, gab es nicht. Während Lloyd mit zitternder Hand die Laterne hielt und manchmal auf Goodsirs Anweisung hin den Finger auf bestimmte Stellen wie etwa eine spritzende Arterie legte, band der Arzt mit geübten Griffen die durchtrennten Adern und Venen ab. In diesen Dingen war er schon immer geschickt gewesen, seine Finger arbeiteten fast von allein.
Erstaunlicherweise waren praktisch keine Fremdstoffe in der Wunde. Das verminderte die Möglichkeit einer tödlichen Sepsis, wenn sie auch nicht völlig auszuschließen war. Mit dem zweiten und letzten Topf Wasser, den Downing gebracht hatte, entfernte Goodsir alle Stoffreste, die er finden konnte. Dann schnitt er die wenigen losen Fleischstücke weg und machte sich ans Vernähen. Zum Glück gab es überhängende Hautlappen, die der Arzt über die Wunde falten und mit breiten Stichen vernähen konnte.
Collins bewegte sich stöhnend.
Goodsir arbeitete noch schneller, um mit dem Schlimmsten fertig zu sein, wenn der Mann wieder zu Bewusstsein kam.
Die rechte Seite von Collins’ Gesicht hing ihm auf die Schulter wie eine verrutschte Karnevalsmaske. Der Arzt fühlte sich an seine vielen Autopsien erinnert, bei denen er das Gesicht weggeschnitten
und es wie ein dickes feuchtes Tuch nach oben über den Schädel geklappt hatte.
Er forderte Lloyd auf, den langen Lappen Gesichtshaut möglichst straff und weit nach oben zu spannen. Nachdem sich sein Gehilfe kurz abgewandt hatte, um sich auf den Boden zu übergeben und sich die klebrigen Finger an seinem Wollwams abzuwischen, folgte er der Anweisung. Mit raschen Stichen nähte Goodsir den losen Teil von Collins’ Gesicht an einen dicken Hautwulst direkt unter dem Haaransatz des Mannes.
Das Auge des Zweiten Steuermanns war nicht zu retten. Er versuchte, es vorsichtig in die Höhle zurückzudrücken, aber der Knochen unter der Augenhöhle war zertrümmert, und die Splitter standen im Weg. Nachdem Goodsir diese Splitter abgebrochen hatte, stellte er fest, dass
Weitere Kostenlose Bücher