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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dienen.«
    »Kann ich noch mal Tinte und Feder haben?«
    Crozier zerrte die Steine wieder heraus. Nachdem er den Zylinder gefunden und seinen Fäustling abgestreift hatte, entrollte er das Papier mit der Oberseite nach unten auf dem Knie, durchstieß das Eis im Tintenfässchen mit der Feder und kritzelte in den winzigen noch freien Platz unter seiner Unterschrift: Und brechen morgen, 26., zu Backs Fischfluss auf.

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Goodsir
    69°?′?′′ NÖRDLICHE BREITE | 98°?′?′′ WESTLICHE LÄNGE COMFORT COVE, 6. JUNI 1848
     
     
     
    Aus dem persönlichen Tagebuch
von Dr. Harry D. S. Goodsir:
     
     
    Dienstag, den 6. Junius
    Endlich ist Capitain Fitzjames seinem Leiden erlegen. Es war eine Erlösung für ihn.
    Im Gegensatz zu jenen anderen, welche in den vergangenen sechs Wochen von uns gegangen sind, seit wir die Boote mit bloßer Muskelkraft nach Osten ziehen – eine furchtbare Thätigkeit, von der auch der einzige noch lebende Medicus der Expedition nicht ausgenommen ist –, ist der Capitain nach meinem Dafürhalten nicht an Scorbut gestorben.
    Zweifellos war auch er an Scorbut erkrankt. Soeben habe ich die Obduction dieses wackeren Mannes abgeschlossen; die Hämorrhagien, das blutende Zahnfleisch und die schwarzen Lippen sprechen eine eindeutige Sprache. Indeß will mir scheinen, daß Scorbut nicht die Todesursache sey.
    Capitain Fitzjames hat die letzten drey Tage seines Lebens hier in einer vom Winde gepeitschten Bucht verbracht. An diesem rund fünzig Meilen südlich des Terror -Lagers gelegenen Orte macht King-William-Land eine scharfe Kehre nach Westen. Zum ersten Male innerhalb von sechs Wochen
packten wir sämmtliche Zelte aus, selbst die größeren, und heizten mit Kohle aus den wenigen uns verbliebenen Säcken den eisernen Walbootherd, welchen ein Gespann von Männern bis hierher geschleppt hat. Seit unserem Aufbruch haben wir fast alle unsere Mahlzeiten kalt eingenommen oder doch nur zum Theile über den winzigen Spirituskochern erwärmt. Und so war es ein großer Segen, daß wir an den vergangenen zwey Abenden heißes Essen erhielten, wiewohl es nicht genug war, da wir nur ein Drittel jenes Quantums verzehren, welches für unsere beschwerliche Arbeit gebothen wäre. Immerhin waren es warme Mahlzeiten. An zwey Morgen hintereinander sind wir am selben Orte erwacht. Dankbar nennen die Männer diesen Ort Comfort Cove, weil sie sich endlich ausruhen können.
    Der vornehmliche Zweck dieses Halts war es, Capitain Fitzjames Gelegenheit zu einem friedlichen Tode zugeben. Dennoch hat der Capitain in seinen letzten Tagen keinen Frieden gefunden.
    Auch der bedauernswerthe Leutnant Le Vesconte hatte ähnliche Symptome verrathen wie Capitain Fitzjames. Le Vesconte verstarb ganz plötzlich am dreizehnten Tage unserer Reise nach Süden. Wenn ich mich recht entsinne, geschah dies nur achtzehn Meilen vom Terror -Lager entfernt und am selben Tage, an dem auch der Gefreite Pilkington sein Leben aushauchte. Doch im Falle des Leutnants und auch dem des Seesoldaten war der Scorbut bereits weiter fortgeschritten, und so war auch ihr Todeskampf weniger qualvoll und lang.
    Ich muß gestehen, daß mir Leutnant Le Vescontes Vorname entfallen war. Unser Umgang war stets freundlich, doch auch förm lich, und von den Musterrollen erinnerte ich mich nur an den Eintrag H.T.D. Le Vesconte. Jetzt bedrückt es mein Gemüth, daß ich gewiß hundert Mal gehört haben muß, wie ihn die anderen Officiere Harry riefen, und ich doch immer zu beschäftigt war, um davon Notiz zu nehmen. Erst nach seinem Tode gab ich darauf acht, daß ihn die anderen bei seinem Vornamen nannten.
    Der Gefreite Pilkington hieß William mit dem ersten Namen.
    Ich entsinne mich noch genau jenes Tages Anfang May nach der kurzen gemeinsamen Bestattung Le Vescontes und Pilkingtons. Einer der
Männer hatte den Einfall, die kleine Bucht, wo sie begraben lagen, »Le Vesconte Point« zu benennen. Doch Capitain Crozier lehnte den Vorschlag rundheraus ab; wenn wir jeden Ort, so meinte er, an welchem einer der Unsrigen aus dem Leben scheiden mochte, nach demselben benennen wollten, so würde uns vor lauter Namen bald das Land ausgehen.
    Diese Worte stürzten die Männer in tiefe Verwirrung, und ich bekenne freimüthig, daß es mir nicht anders erging. Mag seyn, daß es sich um einen Scherz handelte, dennoch war ich choquirt. Auch die Männer waren so erschrocken, daß sie völlig verstummten.
    Vielleicht war es Capitain Crozier eben darum zu thun. In jedem Falle hat er

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