Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
einen ganzen Tag, bis sie die Zelte abbrachen, und noch zwei, bis die Boote tatsächlich vom Eis in das schwarze Wasser südlich von King-William-Land geschoben wurden.
    Zuerst mussten sie auf die anderen Jagd- und Aufklärungstrupps warten, die zum Teil erst nach Mitternacht ins Lager stolperten und sich sofort in ihre Schlafsäcke verkrochen, ohne die gute Nachricht gehört zu haben. Die Jäger hatten nur wenig Wild erlegt. Immerhin hatte Robert Thomas’ Gruppe einen Polarfuchs und mehrere weiße Kaninchen geschossen, während Sergeant Tozers Leute zwei Schneehühner mitbrachten.
    Am Morgen des 5. Juli, ein Mittwoch, leerte sich das Lazarettzelt fast vollständig, weil alle, die auch nur stehen oder stolpern konnten, bei den Vorbereitungen für die Bootsfahrt mithelfen wollten.
    Vor einigen Wochen hatte John Bridgens den Platz von Henry Lloyd und Thomas Blanky als Dr. Goodsirs Gehilfe eingenommen.
Gestern hatte der Steward neben dem Arzt im Zelteingang gestanden und die vereitelte Meuterei beobachtet. Von ihm erfuhr sein Freund, wie sich alles zugetragen hatte. Als Peglar hörte, dass sein Pendant Robert Sinclair an dem Aufstand beteiligt gewesen war, wurde ihm noch übler, als ihm ohnehin schon war. Reuben Male für seinen Teil war schon immer ein zuverlässiger, aber auch eigensinniger Mann gewesen. Äußerst eigensinnig.
    Für Aylmore, Hickey und ihre Speichellecker hatte Peglar nur Verachtung übrig. In seinen Augen waren sie alle – bis auf Manson, der das Denkvermögen eines Kleinkindes besaß – gefährliche Phrasendrescher ohne jedes Ehrgefühl.
    Am Donnerstag, den 6. Juli, wagten sie sich zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder hinaus aufs Packeis. Die meisten von ihnen hatten schon vergessen, wie mühsam das Schleppen auf dem Eis war, und selbst hier auf der Leeseite des weit ins Meer hinausreichenden Kaps war es nicht leichter. Auf dem Seeeis rutschten die Kufen viel schlechter als auf dem Schnee und dem Küsteneis. Es gab keine Täler, keine niedrigen Hügelkämme und nicht einmal Felsen, die Schutz vor dem Wind boten. Hier draußen plätscherten keine Bäche, aus denen man trinken konnte. Nach wie vor tobte der Schneesturm, und der stärker werdende Wind blies ihnen direkt ins Gesicht, während sie die Boote zu der Stelle zogen, wo Leutnant Littles Erkundungstrupp auf die offene Fahrrinne gestoßen war.
    In der ersten Nacht auf dem Eis waren sie derart erschöpft, dass sie nicht einmal mehr die Hollandzelte aufschlugen. Sie spannten nur mehrere Zeltböden als Planen über die Leeseite der Boote und drängten sich in den wenigen dämmerigen Stunden in ihren Dreimannschlafsäcken zusammen.
    Doch trotz des Sturms und der schwierigen Verhältnisse auf dem Packeis war ihre Begeisterung so groß, dass sie die zwei Meilen bereits am mittleren Vormittag des 7. Juli zurückgelegt hatten.

    Als sie ankamen, war die Fahrrinne verschwunden. Sie hatte sich wieder geschlossen. Little deutete auf das dünnere Eis, das überall nur drei bis acht Zoll stark war.
    Mit dem Eislotsen James Reid an der Spitze folgten sie den ganzen Tag dem Zickzackkurs der überfrorenen Rinne, der zuerst nach Südosten und dann nach Osten führte.
    Zu ihrer Enttäuschung und Niedergeschlagenheit, die durch das ununterbrochene Schneetreiben und die völlig durchnässten Kleider verstärkt wurde, kam nun zum ersten Mal seit Jahren noch die Anspannung, sich über dünnes Eis tasten zu müssen.
    Kurz nach Mittag brach der Gefreite James Daly ein, der zusammen mit fünf anderen vorausgeschickt worden war, um mit langen Stangen die Tragfähigkeit des Eises zu prüfen. Seine Maaten zogen ihn zwar rasch wieder heraus, aber da war er schon blau angelaufen. Goodsir ließ den Seesoldaten nackt ausziehen, in Hudson’s-Bay-Decken wickeln und eingepackt in weitere Decken unter die Segeltuchplane eines Kutters schaffen. Zwei andere mussten in dem trüben Licht unter der Bootsabdeckung neben ihm liegen, um ihn mit ihrer Körperwärme am Leben zu halten. Trotzdem schlotterte der Gefreite Daly am ganzen Leib, seine Zähne klapperten, und schließlich fiel er ins Delirium.
    Das Eis, das zwei Jahre lang fest wie ein Kontinent unter ihren Füßen gelegen hatte, hob und senkte sich nun so stark, dass allen schwindlig wurde und manche sich sogar übergeben mussten. Der Druck ließ auch das dickere Eis ächzen, und von allen Seiten krachte es. Goodsir hatte ihnen schon vor Monaten erklärt, dass eines der Symptome bei fortgeschrittenem Skorbut die erhöhte

Weitere Kostenlose Bücher