Terror
seid, um festzustellen, dass die Terror genauso zermalmt wurde wie die Erebus im März.« Crozier ließ das Bild einige Sekunden wirken, bevor er leise weiterredete. »Herrgott noch mal, fragt doch Mr. Honey oder Mr. Wilson oder Leutnant Little, in welchem Zustand ihre Kniestücke waren. Oder das Ruder. Fragt den Unterleutnant Thomas, wie stark sie schon im April aus den Fugen gegangen war … und jetzt haben wir Juli, ihr Narren. Wenn das Eis um sie herum nur ein bisschen geschmolzen ist, dann ist am ehesten damit zu rechnen, dass das alte Schiff gesunken ist. Und wenn sie doch noch im Wasser liegt, wollt ihr mir wirklich erzählen, dass ihr mit dreiundzwanzig Mann die Pumpen bedienen könnt, während ihr mit ihr durch ein Labyrinth von Fahrrinnen segelt? Wenn ihr bis zum
Schiff nur halb so lang braucht wie wir vom Terror -Lager hierher, dann hat schon wieder der Winterfrost eingesetzt. Und falls das Schiff nicht gesunken ist, falls es noch seetüchtig ist und falls ihr nicht draufgeht vom ununterbrochenen Lenzen – wie wollt ihr dann einen Weg durch das Eis finden?« Wieder ließ Crozier den Blick über die Leute wandern. »Mr. Reid kann ich hier nicht sehen. Er kundschaftet mit Leutnant Little unseren Weg nach Süden aus. Ohne einen Eislotsen wird das ein ziemlicher Schlamassel, wenn ihr euch durch das Pfannkucheneis, die Hümpel, das Packeis und die Eisberge kämpfen müsst.« Crozier schüttelte den Kopf über die Absurdität dieser Vorstellung und lachte leise, als hätten ihm die Männer einen guten Witz erzählt. »Geht wieder an eure Arbeit … und zwar sofort «, bellte er dann. »Ich werde nicht vergessen, dass ihr so dumm wart, mit dieser Idee zu mir zu kommen, aber ich will darüber hinwegsehen, in welchem Ton das passiert ist und dass ihr wie eine meuternde Horde aufgetreten seid, nicht wie treue Mitglieder der Royal Navy, die mit ihrem Kapitän reden wollen. Fort mit euch, macht schon.«
»Nein.« Cornelius Hickeys Stimme schallte so hoch und schneidend aus der zweiten Reihe, dass die Männer wie angewurzelt stehen blieben. »Mr. Reid kommt mit uns. Die anderen auch.«
»Warum sollten sie?« Crozier durchbohrte das Rattengesicht mit seinem Blick.
»Weil sie keine andere Wahl haben.« Hickey zupfte Magnus Manson am Ärmel, und die beiden traten nach vorn, vorbei an dem beunruhigt wirkenden Hodgson.
Crozier beschloss, zuerst auf Hickey zu schießen. Seine Hand lag auf dem Revolver in seiner Tasche. Für den ersten Schuss würde er die Waffe gar nicht aus dem Mantel nehmen. Er würde Hickey in den Bauch schießen, wenn er noch drei Fuß näher kam, und den Revolver dann herausziehen, um den Hünen mitten
in die Stirn zu treffen. Mit einem Schuss auf den Rumpf konnte man Manson kaum zu Fall bringen.
Als hätte er mit seinen Gedanken etwas ausgelöst, krachte plötzlich von der Küste her ein Schuss.
Alle bis auf Crozier und den Kalfaterersmaat drehten sich um, um zu sehen, was da los war. Crozier ließ Hickey keine Sekunde aus den Augen. Beide wandten den Kopf erst, als Rufe laut wurden.
»Offenes Wasser!« Es war Leutnant Littles Trupp, der aus dem Packeis zurückkam: der Eislotse Reid, der Bootsmann John Lane, Harry Peglar und ein halbes Dutzend andere, alle mit Flinten und Büchsen bewaffnet.
»Offenes Wasser!«, brüllte Little erneut. Mit beiden Armen winkend kletterte er über die Felsen und das Eis der Küste, ohne zu begreifen, was sich vor dem Zelt des Kapitäns abspielte. »Keine zwei Meilen südlich! Fahrrinnen, die groß genug sind für die Boote und sich meilenweit nach Osten erstrecken! Offenes Wasser!«
Hickey und Manson traten zurück in die Reihen der jubelnden Männer, die noch vor einer halben Minute eine meuternde Rotte gebildet hatten. Einige Seeleute fielen sich um den Hals. Reuben Male sah aus, als müsste er sich gleich übergeben bei dem Gedanken, was er fast getan hätte, und Robert Sinclair ließ sich auf einen Felsen sinken, als würden ihn seine Beine nicht mehr tragen. Der furchtlose Vortoppmann weinte in seine schmutzigen Hände.
»Geht zurück in eure Zelte«, sagte Crozier. »Wir machen uns sofort daran, die Boote zu beladen und die Masten und das Tauwerk zu überprüfen.«
47
Peglar
IRGENDWO IN DER MEERENGE ZWISCHEN
KING-WILLIAM-LAND UND DER ADELAIDE-HALBINSEL
9. JULI 1848
D ie Männer im Lazarettlager wären am liebsten sofort losmarschiert, nachdem Leutnant Littles Trupp die Nachricht vom offenen Wasser gebracht hatte, aber es dauerte noch
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