Terror
abschleppten, umbenannt. Diesen zweiten Zug hassten die Seeleute am meisten, weil sie eine Strecke, die sie am Morgen bereits im Schweiße ihres Angesichts zurückgelegt hatten, noch einmal bewältigen mussten. Die fünf Boote hießen jetzt ganz offiziell Einsam , Armselig , Ekelhaft , Tierisch und Kurz .
Crozier musste grinsen, als er davon erfuhr. Offensichtlich hatten die Leute trotz aller Auszehrung und Verzweiflung noch nicht ihren schwarzen Seemannshumor verloren.
Die darauf folgende Meuterei kam völlig überraschend für Crozier. Und vor allem hatte er nicht mit ihrem Wortführer gerechnet.
Es war mitten am Tag, und der Kapitän hatte sich für ein paar Minuten hingelegt, während die meisten Männer als Kundschafter oder Jäger unterwegs waren. Auf einmal hörte er das Schlurfen vieler genagelter Stiefel im Schnee vor seinem Zelt und wusste, dass sich da etwas zusammenbraute, was das gewöhnliche Maß täglicher Notfälle weit überstieg. Als er aus seinem leichten Schlaf hochfuhr, sagten ihm die verstohlenen Schritte sofort, dass er sich auf offenen Ungehorsam gefasst machen musste.
Rasch zog Crozier seinen Überrock an. In der rechten Tasche dieses Mantels trug er immer einen geladenen Revolver, und seit einiger Zeit steckte auch in seiner linken Tasche eine kleine zweischüssige Pistole.
Auf dem freien Platz zwischen Croziers Zelt und dem Lazarett hatten sich ungefähr fünfundzwanzig Männer versammelt. Das Schneetreiben und das Durcheinander aus dicken Schals und schmutzigen Welsh Wigs machten es ihm schwer, sie alle auf den ersten Blick zu erkennen. Crozier war nicht überrascht, Cornelius Hickey, Magnus Manson, Richard Aylmore und ein halbes Dutzend andere Aufwiegler in der zweiten Reihe zu entdecken.
Was ihn erstaunte, waren die Gesichter in der ersten Reihe.
Fast alle Offiziere waren am Morgen mit den Jagd- und Erkundungstrupps aufgebrochen. Crozier musste einsehen, dass es ein Fehler gewesen war, seine treuesten Offiziere und Unteroffiziere gleichzeitig wegzuschicken: Leutnant Little, den Zweiten Unterleutnant Robert Thomas, seinen Bootsmannsmaat Tom Johnson, Harry Peglar und einige andere. Die Schwächeren waren hier im Lazarettlager zurückgeblieben und hatten sich nun vor seinem Zelt zusammengerottet. Und vor dieser Gruppe stand der junge Leutnant Hodgson. Erschrocken nahm Crozier zur Kenntnis, dass sich neben dem Leutnant der Backsgast Reuben Male und der Vortoppmann Robert Sinclair aufgebaut hatten. Beide hatte er immer für absolut zuverlässig gehalten.
Er trat so schnell auf die Schar zu, dass Hodgson zwei Schritte zurückwich und mit dem Hünen Manson zusammenstieß.
»Was wollt ihr?« Crozier war sich bewusst, dass er kaum mehr als ein heiseres Krächzen hervorbrachte, aber er legte so viel Kraft und Autorität in seine Worte wie nur möglich. »Was soll dieser Aufmarsch bedeuten, verdammt?«
»Wir müssen mit Ihnen sprechen, Kapitän Crozier.« Die Stimme des jungen Mannes bebte vor Anspannung.
»Worüber?« Crozier ließ die rechte Hand in der Tasche. Er bemerkte, dass Goodsir im Eingang des Lazarettzelts erschienen war und einen erstaunten Blick auf die Gruppe von Seeleuten warf. Crozier zählte dreiundzwanzig Männer und merkte sich trotz der Schals und Mützen jeden einzelnen. Keinen von ihnen würde er je vergessen.
»Wir wollen zurück«, erwiderte Hodgson. Hinter ihm wurde beifälliges Gemurmel laut, wie es charakteristisch war für das Hordendenken von Meuterern.
Crozier reagierte nicht gleich. Es hätte schlimmer kommen können. Wenn es sich um eine richtige Meuterei gehandelt hätte, wenn alle Männer einschließlich Hodgson, Male und Sinclair beschlossen hätten, das Kommando über die Expedition mit Gewalt an sich zu reißen, dann wäre Crozier schon tot gewesen. Dann hätten sie im Dämmerlicht um Mitternacht zugeschlagen.
Ein kleiner Vorteil war sicher auch, dass zwar zwei oder drei der Seeleute Schrotflinten trugen, dass aber alle anderen Waffen von den Jagd- und Erkundungstrupps mitgenommen worden waren.
Crozier nahm sich vor, dass nie wieder alle Seesoldaten gleichzeitig das Lager verlassen durften. Tozer und die anderen waren begierig auf die Jagd gewesen. In seiner Müdigkeit hatte sich der Kapitän nichts weiter dabei gedacht, als er sie ziehen ließ.
Er musterte ein Gesicht nach dem anderen. Die Schwächeren in der Menge schauten sofort zu Boden, unfähig, seinem Blick standzuhalten. Die Stärkeren wie Male und Sinclair starrten zurück.
Weitere Kostenlose Bücher